Zwar wird der Klassencharakter von Regimes, die unter Belagerung von westlichen Mächten stehen, in Analysen imperialistischer Interventionen oft erforscht und als Grundlage für ihre Rechtfertigung genannt, doch er erklärt weder, warum kapitalistisch-imperialistische Mächte intervenieren, noch rechtfertigt er ihre Handlungen.
Der relevante Aspekt bei einer Erklärung für die Gründe von
Interventionen ist dabei weder die politische Ausrichtung der belagerten
Regierung, noch ihre Beziehungen mit ihren Bürgern, sondern ob sie den
profitorientierten Interessen der dominanten Klasse in den
intervenierenden Ländern entgegenkommt. Ist sie offen für ausländische
Investitionen, lässt sie die Rückführung von Gewinnen ins Heimatland zu,
fordert sie nur sehr geringe Unternehmenssteuern, öffnet sie ihre
Märkte und bietet sie ein reichliches Angebot an billigen Arbeitskräften
und Rohstoffen? Oder verhängt sie hohe Importzölle, subventioniert die
inländische Produktion, betreibt staatliche Unternehmen (und lässt
ausländischen Privatunternehmen damit keine Gelegenheiten), zwingt
Investoren zu Joint-Ventures mit lokalen Partnern und besteht darauf,
dass Arbeiter vor Elendslöhnen und unerträglichen Arbeitsbedingungen
geschützt werden?
So sehr es auch scheinen mag, dass imperialistische Interventionen
nur Regierungen im Visier haben, die von Arbeitern und Bauern geführt
werden - es ist nicht der Fall. Regimes, die nationalistisch-bürgerliche
Interessen unterstützen, indem sie der dominanten Klasse anderer Länder
gewinnbringende Gelegenheiten in ihren eigenen Ländern verwehren oder
einschränken, werden regelmäßig das Ziel eines Regimewechsels, vor allem
dann, wenn sie militärisch schwach sind oder pluralistische politische
Systeme haben, die Raum lassen für Destabilisierung und politische
Einmischung. Da die Auswirkungen für imperalistische Länder gleich sind,
wenn ein lokales Regime beispielsweise eine ausländische Ölfirma in
Privatbesitz enteignet - ob die Firma an lokale Geschäftsleute, den
Staat oder die Firmenmitarbeiter übergeben wird, ist dabei unerheblich
-, ist es imperialistischen Ländern vollkommen gleichgültig, ob die
Enteignung von Kommunisten, Sozialisten oder radikalen Nationalisten
durchgeführt wird. Ob inspiriert von Marx oder Lenin, vom Sozialismus
des 21. Jahrhunderts, oder der real existierenden kapitalistischen
Politik der Vereinigten Staaten, Deutschlands und Japans, mit der
Großbritanniens Industriemonopol der Kampf angesagt wurde: Wenn man der
kapitalistischen Klasse eines imperialistischen Landes gewinnbringende
Gelegenheiten vermasselt, dann legt sich dieses Land mit einem an.
Gaddafi wurde vom US-Außenministerium wegen seiner „immer
nationalistischer werdenden Politik im Energiesektor” und seiner
„Libyanisierung“ der Wirtschaft kritisiert. (1) Er „stellte sich als
problematischer Partner für internationale Ölfirmen heraus, hob häufig
die Gebühren und Steuern an und stellte viele andere Forderungen“. (2)
Und seine pro-libysche Politik im Hinblick auf Handel und ausländische
Investitionen waren ein Ärgernis für westliche Banken, Konzerne und
Großinvestoren auf ihrer weltweiten Suche nach lukrativen
Gewinnmöglichkeiten.
Kapitalistische Rivalen, die um Zugang zu Investitionen und Handel
in dritten Ländern konkurrieren, laufen genauso Gefahr, das Ziel
imperialistischer Interventionen zu werden. Sie könnten ebenfalls Objekt
von Destabilisierung, Wirtschaftskriegen und militärischer Einkesselung
werden.
Der Beweis dafür liefert eine von Natos Rollen: Der Kampf um die
Sphären kapitalistischer Ausbeutung. Als der Generalsekretär der
Organisation, Anders Fogh Rasmussen, erklärte, warum Nato-Länder mehr
für ihr Militär ausgeben müssten, sagte er: „Wer nicht in der Lage ist,
Truppen jenseits seiner Grenzen zu stationieren, kann in der Welt keinen
Einfluss ausüben, und diese Lücke wird dann von aufstrebenden Mächten
gefüllt, die nicht unbedingt unsere Werte und Denkweise teilen.” (3) Man
kann dies so verstehen, dass die Daseinsberechtigung der Allianz im
Hinblick auf Afrika und den Nahen Osten - das sind wohl die Regionen,
auf die Rasmussen anspielt - darin liegt, die Nordamerikaner und
Westeuropäer oben zu halten, die Russen, Chinesen und Brasilianer raus
zu halten und die indigenen Bevölkerungen unten zu halten. Egal, wie man
es interpretiert, klar ist, dass der Generalsekretär der Allianz Nato
nicht als Organisation für gemeinsame Selbstverteidigung versteht,
sondern als Instrument, das von entwickelten Ländern im Wettbewerb mit
aufstrebenden Ländern eingesetzt wird.
Was die Gültigkeit von Interventionen durch Nato-Länder betrifft,
so gehen auch hier Verweise auf den Klassencharakter von Regierungen,
die das Ziel von Interventionen sind, an der Sache vorbei. Es ist nicht
der Klassencharakter eines Regimes, noch die Art und Weise, wie es seine
Bürger behandelt, die erklärt, warum es das Ziel einer Intervention
wird, sondern vielmehr der Klassencharakter der intervenierenden Länder.
Dies verdeutlicht wiederum, ob die Intervention gültig ist oder nicht.
Es ist unleugbar, dass alle wichtigen Nato-Länder
Klassengesellschaften sind, in denen Großkonzerne, Banken und extrem
reiche Investoren übermäßigen Einfluss über ihre Gesellschaften ausüben.
Ihre Vertreter und loyalen Diener halten wichtige Positionen in der
Regierung, einschließlich und vor allem im Militär und in der
Außenpolitik, und die reiche Unternehmerklasse verfügt über genügend
Ressourcen, um ihre Interessen mit wesentlich mehr Nachdruck
durchzusetzen als irgendeine andere Klasse oder Interessengruppe.
Demgemäß spiegelt die Außenpolitik dieser Länder die Interessen der sie
dominierenden Klasse wider.
Es wäre auch äußerst seltsam, wenn dem nicht so wäre.
Profitinteressen verschwinden nicht einfach, wenn Konzernvorstände,
Firmenanwälte und Banker wichtige Posten im Außenministerium übernehmen;
wenn sie in Konsens schaffenden Eliteorganisationen außenpolitische
Empfehlungen für Regierungen entwickeln, wie beispielsweise im Rat für
Auslandsbeziehungen (Council on Foreign Relations); oder wenn sie auf
Präsidenten, Premierminister, Regierungsmitglieder und Staatsminister
politischen Einfluss nehmen.
Aus diesen Gründen dienen US- und Nato-Interventionen, auch wenn
sie aus offensichtlichen Public Relations-Gründen als humanitär verkauft
werden, im Grunde genommen dazu, die Interessen der die Außenpolitik
dominierenden Klasse zu schützen und zu fördern. Das wird klar genug aus
dem Wirtschaftsteil der großen Zeitungen.
In den letzten Tagen verkündete der Wirtschaftsteil der New York
Times: „Der Wettlauf um den Zugang zu Libyens Ölreichtum beginnt“. Eric
Reguly, ein Wirtschaftskolumnist bei The Globe & Mail, die Zeitung
der kanadischen Finanzelite, sah dies genauso.
„Die größten Player der Ölindustrie lecken sich indes lüstern die
Lippen bei der Aussicht, ihre alten Konzessionen zurückzubekommen und
neue zu ergattern, vor allem angesichts schwindender Förderungsraten der
eigenen Ölquellen.“ Von besonderem Interesse sind die riesigen Ölfelder
in Ghadames und Sirte, die für ausländische Ölfirmen unzugänglich sind,
seit General Gaddafi vor 42 Jahren an die Spitze der Macht getragen
wurde. Genauso verhält es sich mit Libyens Offshore-Ölfeldern.
Wer bekommt die Preise? Der nationale Übergangsrat (TNC) hat
bereits gesagt, er werde die Länder belohnen, die Gaddafis Truppen
bombardiert haben. „Wir haben kein Problem mit Firmen aus westlichen
Ländern wie Italien, Frankreich und Großbritannien,“ sagte Abdeljalil
Mayouf, ein Sprecher der Rebellen-Ölfirma Agogco, laut Reuters. „Doch
wir haben vielleicht einige politische Probleme mit Russland, China und
Brasilien.“
Regulys Kolumne erschien unter der Schlagzeile „Sie bombardierten
und sie werden ernten“. Sie werden auch in anderer Hinsicht ernten. „Der
Führer des Nationalen Übergangsrats, Mustafa Abdel-Jalil, versprach
explizit, die Nationen, die Libyens Aufstand unterstützt haben, mit
Verträgen für den Wiederaufbau des Landes nach dem Krieg zu belohnen.“
(4) Das ist der magische Kreislauf des aggressiven Imperialismus.
Millarden Dollar werden den Steuerzahlern aus der Tasche gezogen
und in die Taschen von Rüstungsfirmen gesteckt, um eine Kriegsmaschine
zu bauen. Mit dieser Kriegsmaschine wird gewaltsam vorgegangen gegen
Länder, deren Regierungen den Konzernen, Banken und Großinvestoren (von
denen viele Anteile an der Rüstungsindustrie besitzen) in den
imperialistischen Ländern gewinnbringende Gelegenheiten vorenthalten
oder beschränken, wodurch der Infrastruktur der Opferländer
beträchtlicher Schaden zugefügt wird. Dann wird ein Kompradorenregime
eingesetzt, das den Exporten und Investitionen des intervenierenden
Landes Tür und Tor öffnet und es dazu auffordert, auf seinem Territorium
Militärstützpunkte zu gründen. Gleichzeitig versorgt das neue Regime
das intervenierende Land mit Verträgen für den Wiederaufbau dessen, was
die Kriegsmaschine zerstört hat. So profitiert die kapitalistische
Klasse in den intervenierenden Ländern in dreifacher Weise: Von
Rüstungsgeschäften; Neuinvestitionen und Exportmöglichkeiten; und dem
Wiederaufbau nach dem Krieg. Eine friedliche Lösung des libyschen
Bürgerkriegs hätte diesen magischen Kreislauf gestört. Kein Wunder also,
dass Washington, Paris und London alle Vorschläge für die Aushandlung
eines Abkommens ignoriert haben.
Es ließe sich vielleicht auch anders erklären. Zwar werden die
großen Öl- und Ingenieurfirmen der führenden Nato-Länder von Gaddafis
Sturz profitieren, doch hatte die Begründung für die Intervention mit
krassen kommerziellen Interessen nichts zu tun, sie war im Kern
humanitär.
Doch wenn dem wirklich so wäre, müsste man erklären, wie es dazu
kam, dass das humanitäre Engagement von Nato ausschließlich einem Land
galt, in dem es noch gewinnbringende Gelegenheiten für die westliche
Ölindustrie zu finden gab, während Nato humanitäre Interessen im
Hinblick auf das Schicksal schiitischer Bahrainer kalt ließen; deren
friedliche Proteste wurden von einer absoluten Monarchie gewaltsam
unterdrückt - unterstützt von den Panzern und Streitkräften drei anderer
absoluter Monarchien, einschließlich Saudi-Arabien und den Vereinigten
Arabischen Emiraten.
Ein drittes Land, das bei der gewaltsamen Unterdrückung des
bahrainischen Aufstands half, verdient eine besondere Erwähnung: Katar.
Es wird in der westlichen Presse für seine Unterstützung der libyschen
Rebellen durch Waffen, Kampfflugzeuge, Training, diplomatische
Anerkennung und Propaganda (durch den staatlichen Nachrichtensender
Al-Dschasira) gefeiert - ein wahrer Freund der Demokratie in ihrem Kampf
gegen Diktatur und Unterdrückung. Die New York Times bezog sich auf
Al-Dschasira als ein „unabhängiger Nachrichtensender“ (5), doch es ist
nicht klar, wovon Al-Dschasira unabhängig ist. Die New York Times hat
sich meines Wissens auf die staatlichen Medien von Ländern unter
imperialistischer Belagerung niemals als „unabhängig“ bezogen. Dieses
lobende und unmögliche Adjektiv (alle Medien sind abhängig - ob vom
Staat oder privaten Investoren) ist vorbehalten für Medien, die sich
eine Sichtweise angeeignet haben, die den Interessen des Vorstands und
der Haupteigentümer der New York Times entgegenkommt.
Bahrain - eine Mustergesellschaft für westliche Investoren - hat
seine gewinnbringenden Gelegenheiten bereits an westliche Ölfirmen
verteilt. Außerdem ist dort die Fünfte Flotte der USA stationiert. In
Wirklichkeit ist das Land daher ein Anhängsel der US-Wirtschaft, ja
sogar des US-Territoriums, daher kann seine Regierung tun was sie will,
solange sie Wall Street zufriedenstellt. Bombardierungen, Sanktionen,
Destabilisierung und Anklagen vor dem Internationalen Gerichtshof sind
Regierungen vorbehalten, die US-Ölfirmen mit „Gebühren und Steuern
belegen“ und ihre Wirtschaften zu verstaatlichen suchen, eine klare rote
Linie in einem imperialistischen Zeitalter.
Ein Teil der Linken hält imperialistische Interventionen für
unterstützenswert, solange sie zum Sturz eines kapitalistischen Regimes
führen, unabhängig davon, ob darauf ein anderes folgt. Natürlich ist das
Ergebnis einer erfolgreichen imperialistischen Intervention gegen ein
bürgerlich-nationalistisches Regime dessen Ersatz durch ein
Kompradorenregime. Das kann man kaum Fortschritt nennen.
Für einen anderen Teil der Linken spielt allein der Charakter der
belagerten Regierung eine Rolle. Im Gegensatz dazu spielt der Charakter
des intervenierenden Staats überhaupt keine Rolle. Es spielt weder eine
Rolle, dass die Interessen von Konzernen, Banken und Investoren den
Staat dominieren, noch seine Geschichte von Eroberungskriegen, noch dass
er seine Aggression mit Lügengeschichten rechtfertigt. Für diese Linken
ist die für zu stürzende Regierung verwerflich, während ihre eigene
entweder engelgleich oder wohlmeinend ist. Innerhalb dieses
Interpretationsrahmens wird Gaddafis Versuch, einen Aufstand zu
niederzuschmettern, als barbarischer angesehen als beispielsweise der
Krieg gegen Irak, der eine humanitäre Katastrophe von solch großem
Ausmaß verursachte, die Gaddafis Unterdrückung nie erreichte. Welche Art
von Täuschung lässt einen glauben, dass die Vereinigten Staaten und
Großbritannien, die Architekten von Raubgier und Gemetzeln in der ganzen
Welt, (a) engelgleich und wohlmeinend sind, (b) bei ihrer Außenpolitik
von humanitären Belangen geleitet werden und (c) eine konstruktive Rolle
in Libyen spielen?
Die verzagtesten Linken sind diejenigen, die den Aggressor und das
Opfer gleichmäßig verurteilen. Sie beziehen eine bequeme, aber feige
moralische Haltung, doch ihre Verurteilung der angegriffenen Regierungen
ist irrelevant. Da der Charakter der belagerten Regierung überhaupt
nichts mit den Gründen für die Intervention zu tun hat und, im Fall
kapitalistisch-imperialistischer Interventionen, diese nicht
rechtfertigt, kann es nur einen Grund geben, ein bestimmtes Land, das
Opfer einer Aggression ist, genauso zu verurteilen wie den Aggressor:
Der Wunsch nach Respektabilität und die Neigung, sich der
Mainstreammeinung zu unterwerfen, sie nicht zu hinterfragen und keine
alternative, anti-hegemonistische Erklärung anzubieten.
Angenommen der Nachbar ist eine schlechtgelaunte, durch und durch
unsymphatische Frau, die es geschafft hat, alle, die sie kennen, vor den
Kopf zu stoßen. Eines Tages wird sie von ihrem Ehemann verprügelt. Man
kann den Ehemann für das Verprügeln seiner Frau verurteilen, und nichts
über den Charakter seiner Frau sagen. Warum würde man das tun? Es
entschuldigt nicht das Verhalten des Ehemannes. Oder man kann beide
gleich verurteilen: Man kann sagen, wie sehr man zwar das Verprügeln von
Ehefrauen verurteilt, dass man aber auch das Opfer wegen ihrer
schlechten Manieren und Verdrießlichkeit verurteilt. Letzteres ist
unvertretbar und jeder, der so handelte, würde seine Schelte verdienen.
Doch linke Untentschlossene machen das Gleiche, wenn sie darauf
bestehen, die Regierungen von Ländern zu verurteilen, in denen
kapitalistisch-imperialistische Länder intervenieren, um zu zeigen, dass
sie die Verbechen, deren diese Regierungen bezichtigt werden, nicht
unterstützen.. Noch schlimmer ist, dass sie nicht einmal den
Wahrheitsgehalt dieser Anschuldigungen untersuchen wollen, um sie dann
anzufechten, falls sie der Überprüfung nicht standhalten, aus Angst
davor, als Apologeten verunglimpft zu werden. Stattdessen akzeptieren
sie die Anschuldigungen einach als wahr, obwohl ähnliche Anschuldigungen
gegen andere Opfer in ähnlichen Situationen sich als Lügengeschichten
herausgestellt haben (zum Beispiel Massenvernichtungswaffen in Irak).
Das ist Apologetentum einer anderen Art - für die eigene herrschende
Klasse der linken Unentschlossenen. Damit bleiben sie auf sicherem
Boden. Später können sie sagen, wie es Viele im Zusammenhang mit dem
Betrug der irakischen Massenvernichtungswaffen taten: „Wir wussten
nichts... Ich bin schockiert, schockiert!, dass die Regierung uns
getäuscht hat.”
Diese Analogie legt jedoch nahe, dass nur in Ländern interveniert
wird, deren Regierungen auf verwerfliche Art und Weise handeln - das ist
aber nicht der Fall. Natürlich wird durch den mit der Intervention
einhergehenden Propagandaangriff der Eindruck erweckt, dass das Regime,
gegen das interveniert wird, durch und durch verabscheuungswürdig ist
und sein Sturz daher erwünscht ist, auch wenn die Intervention, die dies
herbeiführt, aus den falschen Gründen durchgeführt wird. Und wenn Linke
in der Arena der respektablen Mainstreammeinung ernst genommen werden
wollen, wird von ihnen erwartet, dass sie vor der Darstellung von
angegriffenen Ländern als kriminell auf die Knie fallen, damit man ihnen
nicht vorwerfen kann, sie seien Apologeten für Diktatoren, oder
nützliche Idioten. Doch in manchen Fällen sind die Verbrechen, deren die
angegriffenen Regimes bezichtigt werden, gar keine Verbrechen, oder
keine schlimmen Verbrechen.
Die Geschichte, mit der die Notwendigkeit einer Intervention in
Libyen zu erklären versucht wurde, handelt davon, dass ein friedlicher
Aufstand von pro-demokratischen Libyern gegen Gaddafis Diktatur drohte,
im Blut zu ertränken. Eine Geschichte, die näher an die Wahrheit
herankommt, handelt von einem Aufstand, der von den Ereignissen nebenan
in Tunesien und Ägypten ausgelöst wurde, dessen Ursprünge in einem alten
Zerwürfnis zwischen säkularen, nationalistischen und
Regierungselementen einerseits und islamistischen und Kompradorelementen
andererseits liegen. Sie erklärt den Aufstand zwar nicht vollständig,
doch einen guten Teil davon. Ist die Unterdrückung reaktionärer Kräfte,
die den Staat bedrohen, ein Verbrechen? Wenn man ein libyscher Islamist,
Monarchist oder ein vom CIA unterstützter Exil-Libyer ist, lautet die
Antwort ja. Sie lautet ebenso ja, wenn man ein Ideologe für diese
imperialistische Intervention ist. Doch wenn man Gaddafi ist und seine
säkularen und nationalistischen Unterstützer, dann lautet die Antwort
nein.
Bezeichnenderweise rufen nur wenige Leute ernsthaft nach einer
Nato-Intervention, um bahrainische Zivilisten vor der gewaltsamen
Unterdrückung durch eine absolute Monarchie zu schützen. So sehr das
harte Durchgreifen des Regimes Khalifa gegen bahrainische Demonstranten
als Verbrechen betrachtet wird, sein Ausmaß ist nicht groß genug, um
eine Nato-Intervention zu rechtfertigen. Ja es ist schwierig, sich
irgendeine Rechtfertigung für eine Nato-Intervention auszudenken, denn
Nato-Länder sind nur gut darin, Interventionen als Investitionen
durchzuführen. Es muss das Versprechen einer lukrativen Gegenleistung
für eine Elite kapitalistischer Herren geben, damit die Investitionen in
Form von Blut und Geld gerechtfertigt sind: Ölkonzessionen, die frei
von profitmindernden Steuern und Gebühren sind; neue Export- und
Investitionsgelegenheiten; Wiederaufbauverträge. Humanitäre Belange
steigern nicht den Profit. Doch nehmen wir nur für einen Moment einmal
an, wie es die Naiven tun, dass Nato aus selbstlosen Gründen
intervenieren kann, und dass es, wie der Löwe, der sich neben das Lamm
legt, keine Unmöglichkeit ist. Warum würden wir nach einer Intervention
gegen Gaddafi, aber nicht gegen Khalifa rufen? Die Gründe dafür, warum
Banker, Konzerne und Großinvestoren, die die Außenpolitik in
Nato-Ländern dominieren, dies tun würden, sind klar. Dass Linke dasselbe
tun, wirft die Frage auf, was mit der „Linken“ gemeint ist.
Diana Johnstone und Jean Bricmont übten scharfe Kritik an großen
Teilen der europäischen Linken für ihr Versagen, sich entschieden gegen
die Nato-Intervention in Libyens Bürgerkrieg auszusprechen und in vielen
Fällen dafür, sie gar zu unterstützen. (6) Doch dies wäre, als würde
man Schafe für das Weiden auf Wiesen kritisieren. Es ist zwar
bedauernswert, doch nicht seltsam oder neu, dass Leute, die sich zur
politischen Linken zählen, sogar Sozialisten, für die imperialistischen
Ausbrüche ihrer eigenen Regierungen Partei ergreifen. Das geschieht
mindestens seit dem zweiten Weltkrieg. Lenin bot eine Erklärung an, und
unabhängig davon ob man seine Erklärung überzeugend findet oder nicht,
kann man das von ihm beschriebene Phänomen nicht von der Hand weisen.
Ein Teil der Linken ergreift regelmäßig Partei für den Imperialismus der
eigenen Regierung, während ein anderer Teil Wege findet, sie auf
subtile Weise zu unterstützen, während er vorgibt, dagegen zu sein. Der
einzige Teil der westlichen Linken, von ein oder zwei Ausnahmen
abgesehen, auf die man in ihrer standhaften Opposition gegen den
Imperialismus zählen kann, und der ein differenziertes Verständnis davon
hat, sind die Leninisten.
Max Elbaum verweist auf das Phänomen in seinem Buch über die neue kommunistische Bewegung der 1960-er Jahre Revolution in der Luft.
Er schreibt: „Die Aktivisten der späten Sechziger fühlten eine starke
politische und emotionale Verbindung“ mit dem leninistischen Flügel der
sozialistischen Bewegung. Während des ersten Weltkrieges brach dieser
Flügel entschieden „mit denjenigen Sozialisten, die den Krieg
unterstützten, oder zumindest wenig oder nichts taten, um ihn zu
bekämpfen.“ Sie waren vom Leninismus angezogen, da sie wie die
ursprünglichen Anhänger Lenins „ebenfalls viele Jahre in frustrierenden
Kämpfen mit angeseheneren linken Kräften verbrachten, die in der
Antikriegskampagne zauderten - oder sich noch schlimmer verhielten.“
Elbaum schreibt es der Weigerung des demokratischen Sozialismus zu,
sich entschieden gegen den US-Krieg gegen Vietnam auszusprechen, dass
die Unterstützung für die neue kommunistische Bewegung wuchs. Elbaum
schreibt weiter: „Die demokratischen Sozialisten reden heute zwar nicht
viel darüber, aber die US-amerikanischen Sozialdemokraten spielten eine
verlangsamende oder sogar rückständige Rolle in der
Anti-Vietnamkriegsbewegung.“ Der offzielle US-Verbündete der
sozialistischen Internationale, die Sozialistische Partei „unterstützte
in Wirklichkeit den Krieg“ und „war bei Antikriegs-Aktivitäten so gut
wie abwesend“. Der Redakteur von Dissent, Irving Howe, einer der
prominentesten US-Sozialdemokraten, „sprach sich lange gegen einen
sofortigen Rückzug aus Vietnam aus“. Michael Harrington, vielleicht der
am besten bekannte US-Sozialdemokrat, verurteilte nie deutlich den
Krieg. Laut seinem verständnisvollen Biographen, Maurice Isserman, bezog
sich Harrington auf den Krieg, als wäre er eine Naturgewalt, statt
vielmehr ein Produkt menschlichen Handelns (eine Tragödie wie ein
Wirbelsturm oder Erdbeben, statt ein Instrument des US-Imperialismus),
aus Furcht davor, „seine engsten und ältesten politischen Kameraden, die
das Gemetzel unterstützten...“ vor den Kopf zu stoßen. Harrington
betrachtete seine demokratischen Kollegen, die für den Krieg waren,
nicht als rückständige, reaktionäre Kollaborateure, sondern als „gute
Sozialisten, mit denen er einige Meinungsverschiedenheiten im Hinblick
auf periphäre Fragen hatte“. (7)
Auch auf internationaler Ebene haben demokratische Sozialisten auf
eine Weise gehandelt, die Empörung hervorrief: „Französische Sozialisten
führten den kolonialen Krieg gegen Algerien, als sie an der Macht waren
- mitsamt Folter. Die von Harold Wilson geführte Labour-Regierung in
Großbritannien unterstützte die US-amerikanische Vietnampolitik, trotz
ihrer Bedenken.“ Und „Sozialdemokraten in der ganzen Welt waren unter
den stärksten Befürwortern des Zionismus und Gegnern von
palästinensischer Selbstbestimmung.“
Hört sich bekannt an.
Elbaum schreibt, dass es Ende der Sechzigerjahre „ganz natürlich
schien, sich mit einem Trend zu identifizieren, der gegen eine ähnliche
sozialdemokratische Rückständigkeit in einer früheren Phase
imperialistischen Blutvergießens gekämpft hatte.“
Dasselbe gilt für das Jahr 2011.
1.
Steven Mufson, “Conflict in Libya: U.S. oil companies sit on sidelines
as Gaddafi maintains hold”, The Washington Post, 10. Juni 2011.
2. Clifford Kraus, “The scramble for access to Libya’s oil wealth begins”, The New York Times, 22. August 2011.
3. Stephen Fidler and Alistair MacDonald, “Europeans retreat on defense spending”, The Wall Street Journal, 24. August 2011.
4. Steven Lee Myers and Dan Bilefsky, “U.N. releases $1.5 billion in frozen Qaddafi assets to aid rebuilding of Libya”, The New York Times, 25. August 2011.
5. David D. Kirkpatrick and Kareem Fahim, “Inside a Libyan hospital, proof of a revolt’s costs”, The New York Times, 25. August 2011.
6. Jean Bricmont and Diana Johnstone, “Who will save Libya from its Western saviours?” www.counterpunch.org, 16. August 2011.
7. Max Elbaum, Revolution in the Air: Sixties Radicals turn to Lenin, Mao and Che, Verso, 2006, S. 46
4. Steven Lee Myers and Dan Bilefsky, “U.N. releases $1.5 billion in frozen Qaddafi assets to aid rebuilding of Libya”, The New York Times, 25. August 2011.
5. David D. Kirkpatrick and Kareem Fahim, “Inside a Libyan hospital, proof of a revolt’s costs”, The New York Times, 25. August 2011.
6. Jean Bricmont and Diana Johnstone, “Who will save Libya from its Western saviours?” www.counterpunch.org, 16. August 2011.
7. Max Elbaum, Revolution in the Air: Sixties Radicals turn to Lenin, Mao and Che, Verso, 2006, S. 46
Brendan Stone interviewt Stephen Gowans.
Stephen Gowan wirft nicht die Frage auf, welche Länder eine
„Intervention“ verdienen, sondern warum die USA überhaupt intervenieren.
Das ist ein guter Blog für jedermann welcher über dieses Thema etwas wissen will. Danke für das mitteilen so interessanter Informationen für jedermann.
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