Nach
der allgemeinen Schockstarre, die angesichts der ungeprüften
Verbreitung halbseidener Expertisen durch Qualitätsmedien (fast) aller
Couleur zu verzeichnen war, kommt gerade wieder etwas Bewegung in das
Postfach der Publikumskonferenz.
Unserer wackerer und wortgewaltiger Mitstreiter, Volker Bräutigam,
hat sich mit deutlichen Worten an den NDR gewandt, um den seriösen
Journalismus innerhalb der öffentlich-rechtlichen Nachrichtengebung
aufzurütteln.
Programmbeschwerde:
Verstoß gg. NDR-Staatsvertrag §§ 5,7 u. 8 seitens ARD-aktuell
Berichterstattung am 01.06. 2010 über russische Dokumentenfälschung
btr. Abschuss der MH17 über der Ost-Ukraine
Sehr geehrte Frau Vorsitzende Pohl-Laukamp,
lieber Herr Marmor,
erlauben Sie bitte, dass ich mit meinem Standardsatz beginne:
„Hiermit erhebe ich Programmbeschwerde gegen ARD-aktuell wegen Verstoßes
gegen den NDR-Staatsvertrag“ (Konkretes s. Betreffzeile).
Die beklagten Verstöße kamen nicht nur in der Sendung „Tagesthemen“ vor, sondern auch im Internet-Portal
tagesschau.de
und in nachfolgenden Sendungen. Als Tatsache behauptet wurde, und zwar
beweislos und offenkundig unüberprüft, Russland habe Fotodokumente über
den Abschuss eines Flugzeugs der Malaysian Airlines gefälscht.
Beleg:
„Nach dem Absturz des Malaysia Airlines Fluges MH 17 über
der Ostukraine verdichten sich die Hinweise, dass die Russische
Regierung Beweismaterial manipuliert hat. Das russische
Verteidigungsministerium hatte Satellitenbilder präsentiert, die
nahelegen, dass die Maschine von einer Flugabwehrrakete der ukrainischen
Truppen abgeschossen wurde. Nach den Erkenntnissen einer investigativen
britischen Rechercheplattform waren einige der Aufnahmen digital
bearbeitet und falsch datiert. Bei dem mutmaßlichen Abschuss waren im
vorigen Sommer 298 Menschen getötet worden. Einen ausführlichen Bericht
zum Thema und weitere Hintergründe finden Sie auf tagesschau.de (…)”
Auf „
tagesschau.de“ hieß es zwar im Titel noch halbwegs vorsichtig
„Russland soll Fotos gefälscht haben“, doch verzichteten die Autoren bereits im Vorspann auf jegliche journalistisch notwendige und sachlich gebotene Zurückhaltung:
“Mithilfe von Satellitenfotos wollte die russische
Regierung belegen, dass die Ukraine für den Abschuss des Fluges MH-17
verantwortlich ist. Die Recherchegruppe Bellingcat hat nun nachgewiesen,
dass die Fotos manipuliert worden sind. (..)”
Bereits lange vor der fraglichen
Tagesschau-Sendung
war im Internet nachzulesen, um welch einen windigen Verein es sich bei
“bellingcat” handelt, der von der Tagesschau zur “investigativen
britischen Rechercheplattform“ stilisiert und als (im übrigen einzige)
glaubwürdige und zuverlässige Quelle für die abenteuerliche Meldung
ausgegeben worden war:
Amateure, querfinanziert möglicherweise von anglo-amerikanischen
Geheimdiensten sowie u.a. von dem internationalen Großspekulanten George
Soros, der sich mit mehreren hundert Millionen US-Dollar in der Ukraine
engagiert hat. Es war auch von vielen Seiten darauf aufmerksam gemacht
worden, wie unseriös und hergeholt die Behauptungen waren.
Quellenhinweise und Belege dazu hier weiter unten.
Unter dem Titel
Abschuss (1): “Der Westen mauschelt weiter”
hatte schon am Morgen dieses 1. Juni der vormalige ARD-Journalist
Christoph Hörstel vorexerziert, was erste Pflicht einer sauber
arbeitenden Redaktion gewesen wäre: Er hatte sich die Quelle der
Nachricht etwas genauer angesehen.
Und u.a. geschrieben:
„ (…) Statt dessen angebliche Belege jetzt durch
“bellingcat”, ganz wie zuvor bei CORRECT!V, zwei seltsame Einrichtungen,
die schon durch ihre Gemeinsamkeiten im Namenslayout auffallen und
stutzig machen müssen, bis dann Jahre später irgendein US-Oligarch als
Geldgeber auftaucht – oder eine CIA-Frontorganisation, die Grenzen
verschwimmen zusehends. Jedoch bleibt anzumerken: Letztendlich müssen
diese Angaben allesamt nicht so stimmen wie dargestellt – und können
möglicherweise auch ganz anders interpretiert werden. Kurz: WANN ENDLICH
schweigen die Lügenmedien und kommen die angeblichen
Untersucher-Institutionen in Großbritannien und den Niederlanden mit
einem tatsachengerechten und verlässlichen Ergebnis? (…)“
Hörstels Seite führe ich hier nur als Beispiel an, es gab viele um
Seriosität und Distanz bemühte Veröffentlichungen, die ARD-aktuell zu
äußerster Vorsicht vor der britischen Tataren-Meldung hätten bewegen
müssen: Der “bellingcat”-Autor der kindischen Behauptung, Russland habe
Satellitenfotos mittels Photoshop-Funktionen gefälscht, um damit die
Weltöffentlichkeit über den MH17-Abschuss zu täuschen, verfügt ebenso
wenig wie seine Mittäter über nennenswerte Expertise für die Auswertung
militärischer Satellitenfotos, noch hat die Gruppe das entsprechende
Equipment.
Zum „international anerkannten Waffenexperten“ wurde er lediglich von
der Boulevardpresse hochgejubelt, seriöse Nachweise für seine
Fachlichkeit sind nirgends zu finden.
Nicht nur dank des Kollegen Hörstel sondern auch dank vieler anderer
Quellen war schon im Lauf des Tages bekannt, wie äußerst fragwürdig die
“bellingcat“-Nummer war. Jede halbwegs sauber arbeitende Redaktion hätte
bei Eintreffen der “bellingcat“-Boulevardmeldung als erstes
nachgeprüft, was diese Quelle überhaupt wert ist.
Und wäre sofort auf Informationen wie diese (Februar 2015) gestoßen:
„(…) Bellingcat versucht sich an einer
Geschichtsklitterung, was angesichts seiner allgemeinen Vorgehensweise,
nämlich der Bemächtigung unkritisch rezipierter Social Media-Bilder, die
nach Belieben auswertbar sind, nicht allzu schwer fällt. Bilder lassen
sich so und so auswerten. Sie sind schlicht irrelevant ohne kritische
Einbettung in einen Kontext. (…)“
Die Kriminalbuchautorin und vormalige Staatsanwältin Gabriele Wolff
belegt auf ihrer Internet-Seite, dass sie genau weiß, mit was und wem
sie es zu tun hat.
Eine sauber arbeitende Redaktion hätte überprüft, wer hinter
“bellingcat“ eigentlich steckt und wäre u.a. auf diese Quelle gestoßen:
„The blogger who tracks Syrian rockets from his sofa“
Freilich, eine sauber arbeitende Redaktion hätte … Meine Beschwerde
richtet sich jedoch gegen die Arbeit der ARD-aktuell-Redaktion.
Eine gesonderte Würdigung verdient deren hinterhältige und den Zuschauer zu Trugschlüssen verleitende Formulierung
„ (…) verdichten sich die Hinweise, dass die Russische Regierung Beweismaterial manipuliert hat (…)“
Die Tagesschau behauptet damit unausgesprochen das Vorhandensein
weiterer, als seriös anzusehender Hinweise auf russische
Dokumentenfälschung, die sie jedoch weder präsentiert noch deren Quelle
sie mitteilt; vielmehr bleibt die Redaktion jeden Beleg schuldig. Der
Schaden ist ja schon angerichtet, die Zuschauer sind indoktriniert, der
propagandistische Zweck dieser Hinterhältigkeit ist erreicht.
„Es haben sich Hinweise verdichtet“
Mit solchem Sprachmüll garniert die Tagesschau ihre Portion
Gerüchtedreck aus den Giftküchen der Geheimdienste und serviert das
ihrem Millionenpublikum. Schändlich – und jedenfalls auch
staatsvertragswidrig, wie ich weiter unten noch explizit darlege.
Seriöse Journalisten hätten den gesamten Stuss in den
ARD-aktuell-Papierkorb gelegt, wohin er tatsächlich gehörte. Allenfalls
hätten sie erwogen, die Story im Konjunktiv zu veröffentlichen,
allerdings mit vielen „angeblich und „mutmaßlich“ davor; sie hätten
bewusst gemacht, dass es keine Fakten, keine tragfähigen Beweise und
keine bestätigenden Informationen von neutraler Seite für die Behauptung
gibt, Russland habe Bilder für eine Weltnachricht gefälscht. Halbwegs
noch erträglich, weil einigermaßen distanziert, berichtete in diesem
Sinne der Bayerische Rundfunk:
Stand: 01.06.2015 „Russland hat Fotos offenbar manipuliert”
Nach dem Abschuss der malaysischen Passagiermaschine MH17
über der Ukraine sieht sich Russland jetzt mit Manipulationsvorwürfen
konfrontiert. Der Kreml soll die Satellitenfotos zum Absturz bearbeitet
haben. Bisher macht Russland immer noch Kiew für den Absturz von Flug
MH17 über der Ukraine verantwortlich. Doch nun will die unabhängige
Journalistenvereinigung Bellingcat bei Analysen herausgefunden haben,
dass Satellitenbilder am Computer verändert worden sind (…)“
Nicht so die Entscheidungsträger von ARD-aktuell. Als tags darauf
klar war, dass Tagesschau und Tagesthemen einer Angeberei, einer
läppischen Ente aufgesessen waren, reichte es bei der Redaktion nicht
einmal zu einer Relativierung, geschweige denn zu einer Berichtigung
oder gar einer Entschuldigung. Zu der käme es, wenn überhaupt, dann
allenfalls hübsch versteckt in einem Blogbeitrag auf
tagesschau.de,
eventuell mit dem abweisenden Konterfei des Chefredakteurs, aber
jedenfalls ohne Absicht einer umfassenden Wiedergutmachung des
angerichteten Schadens.
Journalistisch schäbigeres Arbeiten ist schlechterdings kaum vorstellbar.
Selbst die rechtskonservativen kommerziellen Medien hierzulande
hielten dazumal nachträglich distanzierende Veröffentlichungen für
geboten:
Beispiel-Beleg: Nachrichtensender n-tv
Sogar DER SPIEGEL lenkte ein:
‘Bellingcat Report Doesn’t Prove Anything': Expert Criticizes Allegations of Russian MH17 Manipulation
Solche korrigierenden Nachrichten nicht gebracht zu haben, ist der
Redaktion ARD-aktuell m.E. ebenfalls als Verstoß gegen den Staatsvertrag
anzukreiden, denn das gehörte zur „umfassenden Information“ i.S.d.
Staatsvertrags; nachdem nun einmal „A“ gesagt worden war, hätte
seriöserweise auch „limente“ gesagt werden müssen. Zur Wahrung des
journalistischen Auftrags und Anstands.
Was wir Zuschauer von der ARD-aktuell-Chose zu halten haben, hat die Internet-Seite
propagandaschau.de in begrüßenswert drastischer Form zusammengetragen unter dem Titel:
ARD und ZDF nehmen unqualifizierte Blogger-“Expertise” als Beweis, Russland Manipulationen im Fall MH17 zu unterstellen
Darf ich Sie sowie die Damen und Herren Ihrer Gremien nunmehr bitten,
sich der Mühe zu unterziehen und das nötige Quellenstudium selbst
vorzunehmen? Nach meiner Ansicht stellt die hier zitierte
„Nachrichten“gebung einen groben Verstoß gegen den NDR-Staatsvertrag und
die entsprechend für die ARD geltenden Bestimmungen dar.
§ 8 Programmgestaltung
(1) Der NDR ist in seinem Programm zur Wahrheit verpflichtet. (…)
Wertende und analysierende Einzelbeiträge haben dem Gebot
journalistischer Fairness (…) zu entsprechen. Ziel aller
Informationssendungen ist es, sachlich und umfassend zu unterrichten
(…).
(2) Berichterstattung und Informationssendungen haben den anerkannten
journalistischen Grundsätzen, auch beim Einsatz virtueller Elemente, zu
entsprechen. Sie müssen unabhängig und sachlich sein.
Nachrichten sind vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Wahrheit und Herkunft zu prüfen.
Besonders die hier farblich hervorgehobene Textpassage entzieht sich
jeder abschwächenden Interpretation. Die beklagten TS- und
TT-Nachrichten wurden ersichtlich nicht gemäß dieser Bestimmung vor der
Verbreitung geprüft, sondern nach dem bei ARD-aktuell gebräuchlichen
antirussischen Propagandaschema F übernommen und bedenkenlos
hinausposaunt.
Es reichte nicht einmal zu schlichter Logik, sonst hätte die
Tagesschau nicht den Schwachsinn formuliert, das Flugzeug sei „von einer
Rakete abgeschossen“ worden. Erfahrungsgemäß schießen Raketen nicht
selbst, sondern werden geschossen … Sprache ist bekanntlich ein
Instrument des Denkens. Manifeste Gedankenlosigkeit und grausige
sprachliche Schlamperei pflegen längst eine innige Liebesbeziehung bei
ARD-aktuell und prägen das Erscheinungsbild dieses „Flaggschiffs der
deutschen TV-Nachrichtensendungen“.
Von Belang für meine Beschwerde sind außerdem diese Staatsvertragsbestimmungen:
§ 5 Programmauftrag
(1) Der NDR hat (…) einen objektiven und umfassenden Überblick über das
internationale, europäische, (…) Geschehen in allen wesentlichen
Lebensbereichen zu geben. Sein Programm hat der Information (…) zu
dienen.
§ 7 Programmgrundsätze
(2) (…). Das Programm des NDR soll (…) die internationale Verständigung fördern, für die Friedenssicherung (…) eintreten (…)
Ich bitte Sie ausdrücklich, Ihre Gremien ohne Umweg mit meiner
Beschwerde zu befassen und mich vor allem mit ARD-aktuell-Stellungnahmen
im gniffkeschen selbstkritiklosen Aufrichtigkeitskeitsmodus und
entsprechendem Sachlichkeitsgehalt zu verschonen; des Chefredakteurs
permanent öffentlich hergebetetes Mantra von den Spitzenfachkräften, die
angeblich bei ARD-aktuell tätig seien, beweist zwar in der Debatte über
fragwürdige Sendungsinhalte gar nichts, erst recht keine
Fehlerfreiheit, es ist dafür aber an Arroganz nicht zu überbieten und
nervt entsprechend.
Zudem ist mir hinlänglich bekannt, dass der Herr Chefredakteur
ARD-aktuell auf Proteste gegen die russlandfeindlichen Fehlleistungen
seiner Redaktion nach dem Muster reagiert, er und seine
ARD-aktuell-Mannschaft seien sui generis im Besitz der reinen Wahrheit,
und demzufolge befänden sich sämtliche Kritiker sowieso im Irrtum.
Ich bin allerdings geradezu versessen darauf, mit den unvergleichlich
hilfreicheren Erkenntnissen derer beglückt zu werden, die eigentlich
zur qualitätssichernden Nachkontrolle auch des Nachrichtenangebots der
Tagesschau und der Tagesthemen berufen wurden, nämlich Sie, die Damen
und Herren NDR-Rundfunkräte.
Mölln, 04. Juni 2015
Mit freundlichen Grüßen
gez. Volker Bräutigam
https://propagandaschau.wordpress.com/2015/06/05/programmbeschwerde-zu-bellingcat-und-mh17/