Mittwoch, 24. Juni 2015

Wer ist jetzt eigentlich mit wem verbündet? – Putin und die saudische Karawane

Pepe Escobar

Wie immer hat es niemand kommen sehen. Raten Sie einmal, wer alles am vergangenen Donnerstag einen bestimmten Raum in St. Petersburg betrat: der stellvertretende saudische Kronprinz und Verteidigungsminister Mohammad bin Salman, der Lieblingssohn König Salmans; der saudische Außenminister Adel al-Dschubeir (der frühere saudische Botschafter in den USA, der immer noch über sehr enge Beziehungen zu einflussreichen Persönlichkeiten in Washington und Umgebung verfügt) und der einflussreiche Erdölminister Ali al-Naimi. Sie alle waren gekommen, um sich am Rande der Konferenz des St. Petersburger Wirtschaftsforums persönlich mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu treffen.
Man kann sich kaum eine größeres Aufsehen erregende, zukünftige strategische Veränderung der Spielregeln vorstellen. Entrichtete diese königlich-saudische Karawane Tribut in Form von Weihrauch, Gold und Myrrhe (oder steigenden Erdölpreisen)? Niemand weiß es gegenwärtig, aber diese Entwicklung wird sich auf das neue Great Game in Eurasien auswirken, das als eine größere Folge bereits einen neuen Kalten Krieg 2.0 zwischen den USA und Russland gebracht hat.
Putin und König Salman standen bereits seit Wochen in diskretem Telefonkontakt. Der Sohn des Königs lud Putin nach Riad ein. Putin nahm die Einladung an. Putin lud seinerseits den König nach Moskau ein – auch diese Einladung wurde angenommen. Die Spannung steigt ins schier Unerträgliche. Aber ist das wirklich die Realität? Oder doch nur Lug und Trug?
Wer ist nun eigentlich mit wem verbündet?
Nehmen wir zunächst den entscheidenden Faktor Energie. Putin diskutiert nun das, was bisher ein Erdöl-Preiskrieg war, sich nun aber vielleicht – und das operative Konzept ist eben dieses »vielleicht« – zu einer, in al-Naimis Worten, »Erdölallianz« direkt mit der »Quelle« – dem Hause Saud – entwickeln könnte.
Nehmen wir einmal an, diese Entente cordiale führe tatsächlich zu einem Erdölpreisanstieg. Dies wäre für Putin ein wichtiger innenpolitischer Sieg gegen die, wie man sie nennen könnte, atlantizistische Fünfte Kolonne, die versucht, Russlands multipolare Ausrichtung zu untergraben. Darüber hinaus schadet es in geoökonomischer Hinsicht nicht, dass Moskau nun in der Lage ist, Saudi-Arabien als einen seiner wichtigsten Abnehmer des überlegenen russischen Verteidigungssystems zu gewinnen.
Die russischen Geheimdienste wissen genau, dass das Haus Saud aus einer Vielzahl von Gründen von der selbstherrlichen Regierung Obama maßlos »enttäuscht« ist – und das ist noch ein
gewaltiger Euphemismus. Das betrifft nicht zuletzt die konkrete Möglichkeit einer Einigung zwischen den P5-plus-1-Staaten und dem Iran im Zusammenhang mit dem iranischen Atomprogramm am 30. Juni. Eine solche Einigung würde als Symbol dafür verstanden, dass Washington letztendlich bereit ist, sein Misstrauen gegen die Islamische Republik Iran, das seit 36 Jahren anhält, aufzugeben.Ein derartig hochkarätig besetztes Treffen des Hauses Saud gerade mit Russland dürfte in den Machtzirkeln Washingtons für erhebliche Verärgerung sorgen. Sowohl Moskau als auch Riad müssten mit heftigen »Strafmaßnahmen« rechnen. Man darf nicht vergessen, dass die wirklichen Beherrscher des Universums – und nicht ihre Papiertiger in den verschiedenen Bereichen der amerikanischen Regierung – bereits seit Langem darüber nachdenken, das Haus Saud zu stürzen.
Den russischen Geheimdiensten ist ebenso wenig entgangen, dass der Einfluss des Hauses Saud in Washington tatsächlich vom guten Willen der Israel-Lobby abhängig ist – dabei geht es meistens um die Verteufelung des Irans. Und daher würde eine Einigung im iranischen Atomstreit – der zu einer »Normalisierung« der Beziehungen Teherans mit dem Westen führen würde – in einem bereits angeschlagenen Riad alle Alarmglocken schrillen lassen.
Putins Botschaft an den Iran ist vielschichtiger. Moskau hat sich sehr aktiv für eine erfolgreiche Beilegung des Atomstreits mit dem Iran eingesetzt; dies entkräftet die Theorie, Moskau wolle in Zukunft die »Riad-Karte« spielen, um Zugeständnisse aus Teheran zu erhalten.
Aber es gibt keine derartigen »Zugeständnisse«; Moskau und letztendlich auch der Iran werden beide Energie auf die europäischen Märkte liefern. Nicht sofort, denn die Modernisierung der iranischen Infrastruktur wird Jahre in Anspruch nehmen und immense Investitionen erfordern. Aber bereits im kommenden Jahr steht einer Aufnahme eines von den Sanktionen befreiten Irans in die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) kaum noch etwas im Wege.
Es ist also nicht damit zu rechnen, dass sich der Iran nun fieberhaft um eine prowestliche Politik bemüht – wie einige nicht dem neokonservativen Lager zuzurechnende Kreise in Washington und Umgebung hoffen. Der Iran wird bemüht sein, seine Position als Regionalmacht zu konsolidieren, sich um eine Normalisierung der Beziehungen, insbesondere zu Europa, zu bemühen und vorrangig auf eine Beschleunigung seiner Integration in Eurasien hinzuarbeiten. Man darf auch nicht vergessen, dass sich Syrien, der Iran und Russland in der gleichen geopolitischen Lage befinden, die der des Hauses Saud völlig entgegengesetzt ist.
Putins Politik könnte auch dazu beitragen, Katar zu isolieren – das zwar indirekt, aber sehr wirksam al-Qaida in Syrien unterstützt, um seine eigenen geoökonomischen Ziele durchzusetzen: eine Erdgaspipeline vom South-Pars-Gasfeld durch Saudi-Arabien und Jordanien bis zur Mittelmeerküste.
Das Konkurrenzprojekt dazu bildet die Pipeline Iran-Irak-Syrien, deren Verwirklichung gegenwärtig dadurch massiv gefährdet ist, dass ein großer Teil des »Syraks« gegenwärtig von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) kontrolliert wird. In diesem Fall unterstützt das selbsternannte »Kalifat« die

geoökonomischen Pläne Katars und die geopolitischen Bestrebungen Saudi-Arabiens.Diese hochrangige Pilgerfahrt der Saudis nach St. Petersburg steht in einem direkten Kontrast zum in Ungnade gefallenen Bandar Bush (eigentlich Prinz Bandar bin Sultan, aber für Bush gehörte er praktisch zur Familie), der im August 2013 Putin drohte, wenn Moskau sich nicht aus Syrien heraushalte, werde man einen tschetschenischen Dschihad gegen (die Olympischen Spiele in) Sotschi von der Leine lassen.
Wer bleibt auf Kurs?
Es läge nahe, dieses sich hier entfaltende fantastische Drama als Nebenschauplatz des Vormarsches der BRICS-Staaten – insbesondere Russlands und Chinas – zu interpretieren, wobei Washington als der große Verlierer dastünde. Aber es geht eher darum, dass Putin eine multipolare Welt und keine unipolare Weltordnung anstrebt und sicherstellen will, dass das Empire des Chaos größte Mühe aufwenden muss, um seine Marionetten/Vasallen, wie etwa den Golf-Kooperationsrat (GCC), auf Linie zu halten.
Es wird lange dauern, bis klar wird, ob es sich bei diesem Vorstoß um einen verzweifelten Versuch der Saudis handelte, »Zugeständnisse« von ihrem imperialen Beschützer zu erpressen. Aber wenn wir einmal von der Annahme ausgehen, dass es hier um reale Absprachen geht, hat sich Moskau die Möglichkeit bewahrt, die Interessen sowohl des Irans als auch Saudi-Arabiens zu berücksichtigen und darauf hinzuarbeiten, dass sich diese konzertierte »strategische Hinwendung zum Nahmittelosten« einmal als ebenso spektakulär wie Russlands »strategische Hinwendung nach Asien« und die neue Seidenstraßen-Politik Chinas erweist.
Es gibt bisher keine Hinweise darauf, die bestätigen, dass das Haus Saud eindeutig erkannt hat, in welche Richtung der Wind weht – und zwar in Richtung der eurasischen Seidenstraßen-Karawane des 21. Jahrhunderts, ungeachtet dessen, welches entgegengesetzte Wunschdenken im Wolkenkuckucksheim ihres vermeintlichen »Exzeptionalismus« auch anderswo gehegt wird.
Die Saudis haben Angst, sie sind paranoid, sie sind verwundbar und sie brauchen dringend »neue Freunde«. Niemand eignet sich besser als Putin – und die russischen Geheimdienste –, auf diese Erwartungen auf vielfältige Weise zu reagieren. Das Haus Saud verdient kein Vertrauen; man denke nur an die vor Kurzem von WikiLeaks veröffentlichten saudischen Botschaftsberichte.
Vielleicht erweist sich diese neue Entwicklung als ein geopolitischer/geoökonomischer Glücksfall. Aber es könnte auch auf das alte Sprichwort hinauslaufen, seinen Freunden zu vertrauen, seine Feinde aber genau im Auge zu behalten.


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Quelle: http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/geostrategie/pepe-escobar/wer-ist-jetzt-eigentlich-mit-wem-verbuendet-putin-und-die-saudische-karawane.html

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