Sonntag, 9. Februar 2020

Putsch in Thüringen: Wie der Ministerpräsident zum Rücktritt erpresst wurde


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Putsch unter der Oberfläche
Viele, zum Teil absurde Vergleiche wurden in den vergangenen Tagen bemüht, um über den zwar ungeheuerlichen, aber dennoch legitimen Abstimmungsvorgang zur Ministerpräsidentenwahl in Thüringen zu berichten. Dabei war einiges davon vorherzusehen und manches sogar zwangsläufig.

Zunächst jedoch war Bodo Ramelows gespielte Aufregung über das ungebührliche Verhalten der Abgeordneten an Verlogenheit und Selbstüberschätzung nicht zu überbieten. Zwar hatte seine Fraktion bei der Landtagswahl die meisten Stimmen erzielt, aber damit bei weitem keine regierungstaugliche Mehrheit erreicht. War er wirklich so naiv wie Heidi Simonis seinerzeit, die mehrere Wahlgänge brauchte, um sich bescheinigen zu lassen, dass Sturheit keine Wahl gewinnt, um dann von Verschwörungen zu schwadronieren? Warum hat Ramelow seine Kandidatur nicht zurückgezogen, um sich auf einen gemeinsamen Kandidaten der übrigen Fraktionen zu einigen? Oder war er einfach im Taumel des hochgerechneten Wählerauftrags in die Falle seiner Eitelkeit getappt?
Ramelows Autoritätsüberdosis konnte man bereits Monate zuvor beim abgebrochenen Interview mit dem Journalisten Thilo Jung (jung & naiv) bewundern, als sich der als gesetzte Landesvater gebende Ministerpräsident, genervt von den frechen Fragen des Moderators zunächst dazu genötigt fühlte das Interview abzubrechen, um dann, wahrscheinlich hastig beraten von seinen Leuten, wieder den sanftmütigen Versöhner zu geben. Einem Höcke hat man dieses Verhalten übrigens nicht verziehen (muss man der Fairness halber sagen).
Es musste Ramelow also mindestens klar sein, dass das verwegene Experiment einer durchgeboxten Minderheitsregierung keine Garant für sein Überleben sein würde. Denn die Bildung einer Regierung wäre nicht nur aufgrund der wackeligen Optionen schwierig, sondern auch aufgrund der öffentlichen Beobachtung, die gespannt darauf wartete, welchen Salto Mortale vor allem die geschwächte Thüringer CDU unter ihrem Vorsitzenden Mike Mohring wagen würde.


Mohring hatte nämlich schon vor der Wahl angedeutet, dass ihm das Ministerpräsidentenamt mehr wert sein würde, als die Tabus, die er dafür brechen müsste. Links oder rechts? Egal. Hauptsache er stünde an der Spitze, der von ihm neu erkorenen politischen Mitte. Dass das Gleichgewicht für diese Mitte nur durch Extreme gehalten werden konnte, schien ihm nicht wirklich hinderlich zu sein. Und auch die Bundes-CDU hatte offensichtlich nicht auf dem Schirm, dass Mohring nicht nur farbenblind überzeugt von seiner Vision zu sein schien, sondern dass auch eine besondere Gemengelage zwischen dem ebenfalls aufs Amt schielenden Friedrich Merz und großen Teilen der Werte-CDU existieren, die der angeschlagenen Vorsitzenden das Leben schwer machen sollten. Ihr Zischen nach Vernunft verhallte im Nichts.
So kam das angeblich Unerwartete, Ramelow stolperte und stürzte, die CDU wähnte sich zunächst in Sicherheit, überliess die Drecksarbeit der FDP, die dank dem geschickt gelegten Amtsköder der AfD an ihrem eigenen Machthunger binnen weniger Tage erbärmlich ersticken sollte.
Angestachelt durch die Berichterstattung einer sensationsgierigen Presse, ging inzwischen nämlich die gesamte Republik auf die Barrikaden und bemühte dabei nicht selten pathetische bis panische Vergleiche zum dritten Reich. (https://www.spiegel.de/…/thueringen-afd-und-adolf-hitler-di…)
Der erzwungene Erfolg der AfD wurde plötzlich zum Präzedenzfall einer „Wehret den Anfängen“ Hysterie. Das apodiktische Mahnen vom Untergang der parlamentarischen Demokratie und der Bestechlichkeit von Politikern wurde zum Emblem einer Gesellschaft von Hashtag Politisierten, denen es in der Regel ohnehin mehr um pseudorhetorische Schlagwortdebatten zu gehen scheint, als um den konstruktiven Austausch von Argumenten. Gott sei dank kam nicht noch das obligatorische Ändern der Facebookprofilbilder hinterher.


Tatsächlich waren die Analogien mit dem Vorgang der Ministerpräsidentenwahl und der dilettantische Umgang mit seinen Folgen, wenn überhaupt eher vergleichbar mit dem gescheiteren Putschversuch in der Türkei, als mit der drohenden Machtübernahme durch Hitler 2.0.
Dass zum Beispiel die Kanzlerin sich von ihrer Auslandsreise aus Südafrika einschaltet, um das Ergebnis einer rechtmäßigen Wahl als ungültig zu bezeichnen, hat Züge eines autokratischen Demokratieverständnisses a la Erdogan. Dass Friedrich Merz, der zuvor seinem Landesvorsitzenden Mohring den Rücken gestärkt hat, als er auf Veranstaltungen der Thüringer CDU immer wieder mit der Öffnung nach Rechts kokettiert hat, plötzlich am selben Abend der Wahl bei Markus Lanz sitzt und offensichtlich unter dem Schock der dreisten Umsetzung seiner heimlichen Pläne einen ganzen Sack Kreide gefressen zu haben scheint hat, ist ein weiteres Wunder dieses parteiübergreifenden Schmierenstücks und gleicht eher dem, was man sonst aus Republiken kennt, denen man gerne Nachholbedarf in Aufgeschlossenheit unterstellt. Genauso auch, wie Merz’ vergeblicher Argumentationskrüppel, permanent Links und Rechtsfaschismus gegeneinander aufzuwiegen, ein verräterischer Versuch sind, seine Chancen auf die angestrebte Kanzlerkandidatur nicht gänzlich zu verspielen, indem er nicht in das drohende Kreuzfeuer zwischen Mohring und der Bundes-CDU gerät.
Schliesslich noch die nachträgliche Liquidierung des Wahlergebnisses, die Rolle rückwärts der mehrfach gesinnugunsprostituierten FDP und das halbgare Moralisieren der SPD, die selbst als Minderheitspartei Regierungsansprüche stellt, zeigen, wie sehr es die AfD bereits geschafft hat die Nation in eine fragile Grundstimmung aus Hilflosigkeit und Wut zu versetzen, in der jegliche Feinwahrnehmung zu einem diffusen Apokalypseszenario zu verschwimmen scheint.
Die Vorgänge in Thüringen haben jedenfalls gezeigt, wie überfordert wir immer noch im Umgang mit den Neo Faschisten sind. Egal, wie die Entwicklung auch in den nächsten Wochen weitergehen wird, bevor wir uns ausmalen, wohin der Bruch mit angeblichen Regeln der Demokratie führt, sollten wir selbst erst einmal die Regeln der Demokratie definieren und anerkennen. Und die sind, wie bereits festgestellt, denkbar einfach. Es geht um Mehrheiten und nicht um Meinungen. Am besten gewinnt man diese durch Argumente und nicht durch Angst und Aggression.


Textquelle: (Serdar Somuncu)

https://www.facebook.com/serdarsomuncu/posts/2882819778449822?__tn__=K-R




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