Dienstag, 20. Januar 2015

Bilderberg-Treffen: Die Elite der Welt diskutiert über den Crash


In London treffen sich an diesem Wochenende die Bilderberger. Die Gruppe von Wirtschafts-Leuten, Politikern, Bankern und Akademikern ist ein informelles Netzwerk des modernen Feudalismus. Die Themen der diesjährigen Tagung geben Aufschluss, was die Finanz-Elite bewegt. Es geht um die Schulden- und Euro-Krise, um die Bürgerrechte und die Nationalstaaten in Europa. Die Elite bereitet sich auf stürmische Zeiten vor.


Das alljährliche Treffen der Bilderberger in London unterliegt bekanntermaßen strenger Geheimhaltung. Wer versucht, mit den Organisatoren in Kontakt zu kommen, wird enttäuscht: Emails werden nicht beantwortet, es gibt keine Telefon-Nummer, schon gar keine Pressekonferenz.
Die Teilnehmer-Liste gibt jedoch wertvolle erste Aufschlüsse. Die Teilnehmer sind intelligent ausgewählt. Nur wenige Leute aus der ersten Reihe der internationalen Politik sind diesmal dabei: Der britische Premier David Cameron, IWF-Chefin Christine Lagarde und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und seine Stellvertreterin Viviane Reding. Hinzu kommen einige nationale Größen wie die finnische Finanzministerin Jutta Urpilainen oder der niederländische Premier Rutte. Für die EZB ist Klas Knot dabei, der bekannt wurde, als er als einer der ersten verkündete, dass die Sparer künftig für Banken-Rettungen enteignet werden sollen (hier).
Eine Zierde des diesjährigen Treffens ist Mario Monti, der es geschafft hat, Politiker, Banker, Wirtschaftsmann und Medien-Star in einem zu werden. Er ist sozusagen die menschgewordene Vernetzung, das Idealbild eines jeden feudalistischen Systems.
Aus der Banken-Szene ist Peter D. Sutherland, Chairman von Goldman Sachs International dabei. Der Chef der Schweizerischen Nationalbank Peter Jordan nimmt teil, ebenso „Joe“ Josef Ackermann und Deutsche Bank-Aufsichtsrat Paul Achleitner sowie Henry Kravis von der Private Equity Firma KKR.
Aus deutschen Unternehmen sind Peter Löscher von Siemens und der brutalstmögliche Aufklärer der CDU und heutige Bilfinger-Chef Roland Koch an Bord.
Was diskutieren diese Leute – und warum haben sie sich in dieser Zusammensetzung zusammengefunden?
Die Teilnehmer berufen sich stets auf ihre Verschwiegenheit, wie etwa der CDU-Staatssekretär Ekhart von Klaeden, der sein Schweigen über die Themen der Konferenz im Jahr 2008 damit begründete, dass das Treffen vertraulich sei und er „die Vereinbarung unter allen Teilnehmern..nicht brechen werde“.
Jedenfalls sind die Teilnehmer nicht als Privatpersonen dort. Klaeden sagte auf Abgeordnetenwatch, dass der Deutsche Bundestag seine Teilnahme bezahle, denn: „Meine Teilnahme ist kein Privatvergnügen.“
Daher kann man davon ausgehen, dass für alle Politiker der Steuerzahler aufkommt. Denn auch Barroso oder der FDP-Hoffnungsträger Christian Lindner dürften ja nicht wegen des „Privatvergnügens“ nach London gereist sein.
Die Bilderberg-Konferenz ist keine Weltregierung und keine Weltverschwörung.
Sie ist mehr.
Auf der Bilderberg-Konferenz werden die wichtigsten Entwicklungen der Weltwirtschaft und ihre Folgen für die Gesellschaften diskutiert. Hier werden die Gehirne der politischen Verantwortlichen gewaschen, damit sie eine Politik machen, die die Interessen der zeitgenössischen Feudal-Klasse vertritt.
Dazu braucht man keine Befehle.
Dazu braucht man vor allem Wissen.
Daran mangelt es den Politikern, weil sie in der Regel keine Zeit haben, sich ernsthaft mit den Problemen der Gegenwart auseinanderzusetzen. Daher sind die anwesenden Politiker dankbar, einmal im Jahr aus erster Hand zu erfahren, wohin der Hase läuft und wie man sich in einer komplexen Welt verhalten muss.
Die personelle Zusammensetzung erweckt den Anschein, in diesem Jahr vor allem als Weiterbildungs-Veranstaltung für die EU-Führer geplant zu sein. Die EU-Kommission kämpft gegen einen drohenden Bedeutungs-Verlust an. Die aktuelle Absage an einen weiteren Sparkurs in Europa führte etwa Barroso vor Augen, dass er im Grunde nichts zu sagen hat, wenn die National-Staaten es nicht wollen.
Da können neue Inspirationen helfen, damit die EU-Führer künftig sicherer werden in der Argumentation.
Es ist in der Politik wie bei der Börse: Insider-Wissen befördert den Handel und den Profit. Ein Informations-Vorsprung ist unbezahlbar.
Das Programm dieses Jahres zeigt, dass sich die Eliten aus Finanz und Wirtschaft offenbar ernste Sorgen um die EU machen. Die Themen, die auf der Website der Konferenz veröffentlicht werden, sind wie ein Panorama der Bedrohungen. Und die EU wird von den Eliten als Problem angesehen. Es ist Brüssel noch nicht gelungen, die politische Union so zum Leben zu erwecken, dass Europa mit einer Stimme spricht – im Gegenteil: Die zentrifugalen Kräfte gewinnen an Bedeutung, weil der Zahltag für die kollektive Schuldenmacherei näher rückt.
Da ist es für Barroso und seine Freunde höchst willkommen, wenn man ein paar „Mega-Trends“ erklärt bekommt.
An erster Stelle der Agenda steht die Frage: „Können die USA und Europa schneller wachsen und Arbeitsplätze schaffen?“
Man braucht kein Bilderberger zu sein, um sich die Antwort vorzustellen, die Ackermann, Löscher oder der eben mit einem Skandal wegen einer Millionen-Abfindung in die Schlagzeilen geratene Novartis-Chef Daniel Vasella der Politik geben werden: Mehr Arbeitsplätze können nur geschaffen werden, indem die Staaten mehr Arbeitsplätze schaffen. Dazu müssen die multinationalen Konzerne in Ruhe gelassen werden. Sie schaffen ja schon unendlich Arbeitsplätze – allerdings in Asien, weil es dort billiger ist. Das aber, so werden die Wirtschaftsführer dem Präsidenten Barroso erklären, ist auch gut für die EU. Denn dann gehen die Konzerne nicht pleite, und die Staaten müssen nicht für die Sozial-Kosten von Pleiten aufkommen.
Der zweite Punkt der Agenda soll das verdeutlichen: „Arbeitsplätze, Sozialleistungen und Schulden“ steht da. Hier werden die Manager und Banker den Politikern erklären: Die Staaten müssen sparen, damit sie ihre Schulden abtragen können. Das kann sehr hart werden für die Staaten, ist aber alternativlos. Denn wenn die Schulden weiter steigen, dann können die Sozialleistungen nicht finanziert werden. Dafür sind die Konzerne nicht verantwortlich, denn sie schaffen massenhaft Arbeitsplätze in den Billiglohn-Ländern. Das wiederum ist gut für Europa – siehe oben.
Wenn die Staaten wegen ihrer Sparprogramme jedoch Schwierigkeiten mit den Bürgern bekommen, sollten sie auf der Hut sein: Die Lage ist im Jahr 2013 gefährlicher als früher. Die Bürger begehren auf. Hier kann Barroso aus erster Hand von den anwesenden Journalisten informiert werden: Der Chefredakteur der griechischen Zeitung Kathimerini ist ebenso anwesend wie der Geschäftsführende Redakteur von Les Echos, die Star-Moderatorin Lilli Gruber aus Italien oder der Verleger des österreichischen Standard, Oscar Bronner. Die Journalisten können den Regierungschefs schildern, was diese nicht immer aus erster Hand erfahren: In einigen Ländern brodelt es. Das wissen die Top-Journalisten mittlerweile zumindest aus zweiter Hand – von ihren Reportern oder aus dem Internet. Sie gelten in der Welt der Bilderberger jedoch noch immer als Informanten mit echten Quellen.
Über die Bürger wissen die Top-Journalisten in der Regel nicht so gut Bescheid, weil die Zeitungen in den vergangenen Jahren meist das Gegenteil von dem geschrieben haben, was die Leute denken.
Daher gibt es ja neue Methoden, sich einen Überblick zu verschaffen über die Pläne der aufsässigen Bürger: „Wie die große Datenerfassung fast alles verändert“ heißt es daher folgerichtig als Punkt 3 der Tagesordnung: Google-Chef Eric Schmidt kann den EU-Führern erklären, dass sie Google nicht bekämpfen, sondern besser nutzen sollen: Street View, Google Maps und die vielen anderen frei zugänglichen Dienste erleichtern der Politik die Beobachtung der Bürger. Eine Revolution ist im Internet-Zeitalter nicht zwingend nötig. Die Politik muss „Big Data“, wie es im Original heißt, nur besser nutzen. Lawrence Lessig, der Vordenker des offenen Internets, wird den Politikern erklären können, dass das offene Internet eine der besten Erfindungen der jüngsten Geschichte ist: Die Bürger sind so dumm, dass sie sich auf den sozialen Netzwerken bis auf die Unterhose entkleiden – und der Staat kann alles live mitverfolgen!
Und hier wird es für EU-Präsident Barroso und alle besonders interessant: „Nationalismus und Populismus“ stehen als Punkt 4 auf dem Programm. Die Bilderberger haben traditionell der Idee der Vereinigten Staaten von Europa viel abgewinnen können. Nun aber ist die gut gemeinte Idee ins Stocken geraten. Die Bürger in Europa beginnen, sich wieder ihrer „nationalen“ Wurzeln zu besinnen und werden darin von „Populisten“ wie dem britischen UKIP-Chef Nigel Farage aufgestachelt.
Gut, dass die „US-Außenpolitik“ als nächstes behandelt wird. Die deutsche Außenpolitik hat keinen Platz auf der Tagesordnung, zu Recht. Denn nur die US-Boys wissen, was für die Welt gut ist. Um aber den nun vermutlich schon etwas müde gewordenen Besuchern eine kleine Verschnaufpause zu gönnen, werden die „Herausforderungen Afrikas“ behandelt. Rohstoffe sind in der Tat ein Problem, das alle angeht, wie zeitgerecht zum Beginn der Bilderberg-Konferenz der Club of Rome elaboriert hat (hier).
Rohstoffe und aufsässige Bürger sind tatsächlich die zentrale Herausforderung für die Feudal-Herren des 21. Jahrhunderts. Zum Glück haben die Amerikaner die Bedrohung rechtzeitig erkannt: „Der Cyber-Krieg und das Anwachsen von asymmetrischen Drohungen“ wird von Chef-Strategen des Sicherheits-Think-Tanks Stratfor, Robert D. Kaplan detailreich dargestellt. Wichtig ist, dass dieser Krieg stets als ein Verteidigungskrieg dargestellt wird. Dazu müssen die Bürger stets auf einen latenten Hang zum Terror hin abgeklopft werden. Die auffallend zahlreich anwesenden türkischen Teilnehmer werden Kaplan zustimmen und darauf verweisen, dass dies sogar der aus Anatolien stammende Premier Recep Erdogan bereits kapiert habe – er verglich den Massenaufstand in der Türkei mit dem Terrorismus.
Danach gibt es eine kurze Konferenz-Pause: „Größere Trends in der medizinischen Forschung“ werden erläutert – nicht zuletzt, um Barroso die Möglichkeit zu geben, eine Kopfschmerz-Tablette einzuwerfen.
Damit das Ganze nicht zu fatalistisch wird, sprechen die Teilnehmer danach über „Online-Erziehung: Versprechungen und Impulse“. Der Blick in die Zukunft soll den Teilnehmern Hoffnung geben, dass künftige Generationen leichter zu führen sein werden als die alten Unbelehrbaren, die immer noch von Werten schwärmen, die die neue Welt nicht braucht. Das dialektische Motto, dass der DDR-Bürgerrechtler Reiner Kunze in einem knappen Gedicht vorgebracht hat, gewinnt bei der Konferenz neue Bedeutung. Unter dem Titel „Dialektik“ heißt es da: „Unwissende, damit ihr unwissend bleibt, werden wir euch schulen!“
Für Barroso kommt dann jedoch die Stunde der Wahrheit. Zum Tagesordnungspunkt „Die Politik der Europäischen Union“ muss der arme Mann aus Portugal erklären, warum auf dem alten Kontinent alles so schief läuft. Allerdings wird durch die einfühlsame Tagesordnung Barroso die Möglichkeit gegeben, aus den Referaten vor dem seinen zu schöpfen.
Barroso kann, wenn er geschickt ist, weniger über die Vergangenheit, als vielmehr über die Zukunft sprechen. So kann der EU-Präsident selbst zum Trendsetter werden: Wenn er über die EU spricht, kann er vom bevorstehenden Kampf gegen Nationalismus und Populismus reden, er kann die Chancen von „Big Data“ für den asymmetrischen Kampf gegen die vom Terrorismus verführten Bürgerrechtler schwärmen. Er kann sagen, dass die EU das Arbeitsplatz-Thema mit vierjähriger Verspätung als wichtig erkannt hat und daher den mittelständischen Unternehmen vorschreiben wird, dass sie die Leute anstellen müssen. Außerdem kann er schon einen ersten Erfolg melden und dabei ein versöhnliches Signal in Richtung Angela Merkel aussenden: Ursula von der Leyen habe, so kann Barroso sagen, den Trend antizipiert und angeboten, 5.000 junge Spanier in Deutschland zu übernehmen.
Wenn Barroso bei der Konferenz eine brillante Rede gelingt, dann könnte auch der vorletzte Tagesordnungs-Punkt seine Brisanz verlieren: „Die Entwicklungen im Nahen Osten“ müssen dann nicht zwangsläufig zu einem Stellvertreter-Krieg größeren Ausmaßes führen. Israelis, Palästinenser, Ägypter oder Syrer sind bei der Konferenz ohnehin nicht vertreten – dadurch besteht keine Gefahr eines Einwands aus der Realität.
Mit dem Tagesordnungspunkt „Current Affairs“ wird die Tagung beschlossen. Man weiß eigentlich nicht genau, was das bedeuten soll und wer dazu spricht.
Möglicherweise ist dieser Punkt eher eine Art „Zusammenfassung und Ausblick“. Die beiden deutschen Politik-Vertreter Christian Lindner (FDP) und Kurt Lauk vom Wirtschaftsrat der CDU werden mit Erleichterung feststellen, dass der Crash vermutlich doch nicht vor der Bundestagswahl kommt.
Dass es eher früher als später aber in jedem Fall einen Crash geben wird, darüber dürfte bei den Teilnehmern kein Zweifel bestehen.
Mit dem Programm wird klar, dass die Wirtschafts- und Finanzelite den Crash in Europa erwartet. Kein Asiat, kein Südamerikaner, kein Afrikaner ist anwesend. Die US-Vertreter sind eher auf dem Level der gehobenen Bürokratie angesiedelt.
Die nächste Schlacht der Feudal-Herren wird in Europa geschlagen.
Die Bilderberger bereiten sich gewissenhaft darauf vor.
Sie sollten sich jedoch nicht zu sicher darüber sein, dass sie ihn unbeschadet überstehen. Denn die Bilderberg-Konferenz hat einen gravierenden Konstruktions-Fehler: Sie analysiert die Welt ausschließlich aus der Vogelperspektive der Mächtigen. Das ist in der Geschichte meist schiefgegangen, weil die Bürger am Ende immer draufgekommen sind, wenn sie hinters Licht geführt wurden.
Doch die Bilderberger sind auch auf den Ernstfall vorbereitet.
So gebührt das Schlusswort bei der diesjährigen Bilderberg-Konferenz einem Franzosen: Olivier de Bavinchove ist der Oberbefehlshaber des multinationalen Militär-Verbandes Eurokorps.
Er wird den Teilnehmern versichern, dass sie persönlich und ihre Vermögen so sicher sind wie die deutschen Spareinlagen.
Das Treffen endet am Sonntag mit einem geselligen Beisammensein.

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