Griechenland wird auch in der Neubestimmung der EU-Migrationspolitik zum Testfall
Die Bundesregierung will weitere Bundespolizisten nach
Griechenland schicken. Dies geht aus einem Dokument hervor, das kürzlich
auf der Plattform Quintessenz veröffentlicht wurde. Die Beamten der
Bundespolizei sollen demnach die Migrationsabwehr aufstocken, die von
der EU-Grenzschutzagentur Frontex seit vier Jahren an der Grenze zur
Türkei installiert wird. Griechische und türkische Grenztruppen sind mit
Frontex als "Endnutzer" an einem EU-Forschungsprojekt zur Entwicklung
von Überwachungsrobotern beteiligt
Im Rahmen des TALOS-Projekts werden autonome Landroboter zur Grenzüberwachung entwickelt. | Bild: Talos-border.eu |
Frontex koordiniert seit 2008 in Griechenland die auf unbestimmte Zeit verlängerte Operation Poseidon Sea,
um über dem Seeweg ankommende Flüchtlinge abzufangen. 23
EU-Mitgliedstaaten bzw. mit dem Schengen-Abkommen assoziierte
Regierungen nehmen an der Mission teil.
2010 wurde die gemeinsame Überwachung des Mittelmeers durch eine gleichnamige Maßnahme an der Landgrenze zur Türkei ergänzt. Hinzu kam der europaweit erste Einsatz der sogenannten "schnellen Eingreiftruppen". Dieses sogenannte "Rapid Border Intervention-Team" (RABIT) wird aus dem Frontex-Lagezentrum in Warschau gesteuert, die Koordination
obliegt einem Büro im griechischen Alexandroupoli. Die 25 am RABIT
beteiligten Staaten überlassen Frontex hierfür 175 Polizisten,
Hubschrauber, Spürhunde, Wärmebildkameras, Nachtsichtgeräte, Fahrzeuge
und andere Sensoren. Vor wenigen Wochen gab Frontex seine jährliche Risikoanalyse heraus, die neuerlich zur stärkeren Überwachung der Gegend rät.
An der Grenze wird geschossen
Die Operation "Poseidon Land" und die "RABIT"-Teams
sollen Migranten an der Landgrenze zur Türkei aufspüren, die den
Grenzfluss Evros durchqueren. In ihren Mitteln sind die Grenzwächter
nicht zimperlich: Immer wieder fallen auch Schüsse auf Personen und die benutzten Schlauchboote. Oft ist nicht zweifelsfrei erwiesen, ob die Beamten das Feuer zuerst eröffnet haben. In einem anderen Fall starben drei Migranten bei einer Verfolgungsjagd mit Frontex-Truppen.
Deutsche Polizisten assistieren mit Wärmebildkameras und
Nachtsichttechnologie. Zur "Bekämpfung illegaler Migration" sind
Bundespolizisten zudem mit Suchabfragen in polizeilichen Datenbanken
behilflich, um Vorgänge "mit Bezug auf Deutschland" zu untersuchen.
Neben den derzeit zehn in der Operation "Poseidon Land" eingesetzten
Bundespolizisten hat die Bundesregierung vier "Grenzpolizeiliche
Unterstützungsbeamte Ausland" an Flughäfen in Athen und Thessaloniki
sowie den Häfen in Patras und Igoumenitsa stationiert.
Ein sogenannter Schengen-Evaluationsbericht
zu Griechenland listet jetzt weitere Maßnahmen mehrerer
EU-Mitgliedstaaten auf. Die zusätzlich geplanten deutschen Beamten
kommen demnach ebenfalls an den Knotenpunkten des Luft- und Seeverkehrs
zum Einsatz. Neben weiterer, nicht näher bezeichneter Beihilfe zur
Überwachung der "Green Borderline" am Grenzfluss, werden die
griechischen Grenzschützer durch Ausbildungsinhalte und Studienbesuche
in Deutschland unterstützt.
Schon jetzt ist die Flüchtlingsabwehr in der
Evros-Region hoch militarisiert: Die Regierung errichtet parallel zum
Fluss einen 12 Kilometer langen Zaun, der eine Weiterreise nach dem
Durchqueren des Gewässers behindern soll (Griechenland will eine Mauer zur Türkei).
Der Grenzwall wird ergänzt durch einen 120 Kilometer langen und 30
Meter breiten Graben, den das griechische Militär auch entlang der
Landgrenze aushebt (Von der EU-Kommission gibt es kein Geld für den geplanten Zaun gegen Migranten).
Dieser vorgeblich als Schutz gegen militärische Angriffe
aus der Türkei errichtete "Panzergraben" erleichtert Patrouillenfahrten
ebenso wie den Einsatz automatisierter Sensoren zum Aufspüren
unerwünschter Grenzübertritte. Hier könnten später automatisierte
Grenzkontrollen zum Einsatz kommen: Die griechischen Grenzschützer
gehören zu den "Endnutzern",
die sich am EU-Forschungsprojekt "Transportable Autonomous patrol for
Land bOrder Surveillance" (TALOS) beteiligen. Entwickelt werden autonome Landroboter mit Überwachungskameras,
die sowohl Fahrzeuge, Personen als auch "gefährliche Substanzen"
aufspüren sollen. Auch die türkische Gendarmerie, die für die
Grenzsicherung zuständig ist, gehört zu den Interessenten für die Plattform,
die von der EU-Grenzschutzagentur Frontex als Vorsitz vertreten werden.
Firmen aus Griechenland und der Türkei, aber auch aus Israel bringen
ihre Entwicklungen ein und dürften sich für die spätere Vermarktung
interessieren. Das 20 Millionen Euro schwere Vorhaben wird zu zwei
Dritteln aus Mitteln der EU gefördert. Letzten Monat wurde in einer
polnischen Militärkaserne erstmals ein Prototyp vorgestellt.
Die "Vorteile" der autonomen TALOS-Fahrzeuge. Grafik: Talos-border.eu |
Mehr Kooperation mit türkischen Grenzwächtern
Um die mit allerlei technischem Gerät gefangenen
Migranten überhaupt unterbringen zu können, kündigte die Regierung in
Athen noch vor der Wahl den Neubau von 30 Abschiebegefängnissen an (Illegale Einwanderung wird zum reißerischen Wahlkampfthema, In Griechenland wurde das erste Internierungslager für Migranten eröffnet).
Die in ehemaligen Militäreinrichtungen entstehenden Haftkapazitäten
werden laut Innenminister Chryssochoidis durch die Europäische Union finanziert. Die Bundesregierung dementiert
die Meldung jedoch und verweist darauf, dass die "Förderfähigkeit der
neuen Aufnahmezentren" von der EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström
noch geprüft würde.
Die Bundesregierung erhöht den Druck auf Griechenland
und will das Land zu einem rigorosen Umgang mit Migranten zwingen. Im
März traf
sich Bundesinnenminister Friedrich hierfür mit Amtskollegen aus
Österreich, Belgien, Frankreich, den Niederlanden, Schweden und
Großbritannien. Als Ergebnis veröffentlichte die informelle Runde "Gemeinsame Antworten auf aktuelle Herausforderungen in besonders stark von sekundärer Migration betroffenen Mitgliedstaaten".
In Anspielung auf Griechenland wurde gemaßregelt, dass Regierungen der
Mitgliedstaaten ihren "Haushalt ordentlich führen" müssten (Migranten unerwünscht).
Die Minister forderten, dass wenn ein Land einen "erhöhten
Migrationsdruck" verantworte, die übrigen Mitgliedstaaten daraufhin die
Wiedereinführung von Kontrollen der Binnengrenzen veranlassen dürften.
Eine Reihe weiterer geforderter Maßnahmen dreht sich um
den Ausbau der Kooperation mit der Türkei. Diese "praktische
Kooperation" soll auf "gemeinsame Verantwortung und Solidarität"
fokussieren. Hier soll ein Arbeitsabkommen helfen, das Frontex mit der
Türkei schließen will. Ein von der EU verhandeltes Rückübernahmeabkommen
für abgeschobene Migranten soll ebenfalls bald unterzeichnet werden.
Sofern die Migranten nicht zur freiwilligen Rückkehr in das Einreiseland
Türkei gedrängt werden können, sollen sie dorthin abgeschoben werden.
Die Zwangsmaßnahme wird in einem anderen EU-Dokument als
"Durchbeförderung mit Begleitung" verbrämt. Mehrere Treffen von
Ministern und hohen Beamten bringen nun Schwung in die Verhandlungen:
Mitte März hat die EU mit der Regierung in Ankara einen "Dialog" im
Bereich Justiz und Inneres begonnen.
Deutsche Vorlage für rigidere EU-Migrationspolitik
Doch das Dokument der sieben Innenminister geht noch
weiter und fordert, dass die Frontex-Operation an der
griechisch-türkischen Grenze endlich eine "benötigte operative Stärke"
erhalten müsse. Alle EU-Mitgliedstaaten seien deshalb aufgerufen, ihre
Polizeikontingente in Griechenland und besonders in der Evros-Region zu
erhöhen. Dennoch war das deutsche Innenministerium nicht zufrieden.
Stattdessen schrieben
die Innenminister Deutschlands und Frankreichs eine Eingabe an den
dänischen EU-Ratsvorsitz, um erneut die Forderung nach der temporären
Aussetzung des Schengen-Abkommens zu untermauern.
Die Regierung in Kopenhagen nutzte die
deutsch-französische Initiative für einen noch weitgehenderen Angriff
auf unerwünschte Migranten: Im Ende April vorgelegten Papier "EU-Aktion gegen den Migrationsdruck - Eine strategische Antwort"
wird der Evros-Region gleich einer von sechs "Prioritätsbereichen"
gewidmet. Unter dem Titel "Verhütung illegaler Einwanderung über die
griechisch-türkische Grenze" werden weitere "effiziente Maßnahmen für
die Aufspürung, die Abschreckung und den Aufgriff illegaler Einwanderer"
angemahnt. Die türkischen Behörden sollen hierfür auch finanziell
unterstützt werden.
Außerdem will die EU ihre Polizeiagenturen Europol und
Frontex selbst im Grenzgebiet ansiedeln. Eine der Maßnahmen im neuen
"Aktionsplan" sieht deshalb vor, ein "trilaterales gemeinsames
Kontaktzentrum für Polizei-, Grenzschutz- und Zollzusammenarbeit"
einzurichten. Neben der Türkei und Griechenland wird auch Bulgarien
einbezogen.
Die zahlreichen von Deutschland eingefädelten, bi- und
multilateralen Polizeimaßnahmen machen Griechenland zum Testfall für
eine Einmischung in die nationale Souveränität eines EU-Mitgliedstaates.
Es bleibt abzuwarten, ob die Bevölkerung -analog dem Widerstand gegen
das "Sparpaket" - die über EU-Maßnahmen ausgespielte Dominanz
Deutschlands zurückweist. Die deutsche Forderung nach mehr
Migrationsabwehr trifft allerdings auf einen wachsenden Rassismus: Viele
Griechen - darunter auch Polizisten - sind offenbar einverstanden mit
dem Kurs von Regierung und Polizei, Migranten zu stigmatisieren, zu denunzieren (Wie Einwanderer zu "wandelnden Krankheitsbomben" werden), mit Schlägertrupps zu verprügeln und in von der EU geförderten Gefängnissen einzusperren. Matthias Monroy
http://www.heise.de/tp/artikel/36/36920/1.html
http://www.heise.de/tp/artikel/36/36920/1.html
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