Was geschieht
gerade in Syrien? Wer steckt dahinter und mit welchen Absichten? In
einem Interview mit der algerischen Zeitung ‘La Nouvelle République’
(Neue Republik) gewährt der französische Journalist und
Krisenberichterstatter Thierry Meyssan tiefe Einblicke in das politische
Geschehen rund um Syrien und Libyen und deckt die strategischen Pläne
der USA und Europas auf
Thierry Meyssan
ist nicht irgendein Reporter. Er beweist Mut. Während der westlichen
Annektion Libyens hatte er aus dem Hotel Rixos in Tripolis berichtet und
sich gefährlich weit aus dem Fenster gelehnt, als er durchsickern ließ,
dass sich unter seinen Journalistenkollegen auch CIA- Mitarbeiter
befänden und dass Journalisten zudem in die Auswahl von militärischen
Zielen involviert seien. Im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen,
die von komfortablen Pressezentren aus embedded journalism betreiben,
mischt sich Meyssan unter die Menschen, lebt mit ihnen zusammen, taucht
ein in deren Alltag und gelangt so an Informationen von hohem
Wertgehalt, die er als informative Juwelen ins Netz stellt. So auch im
folgenden Interview.
La Nouvelle République :
Sie waren in Syrien. Welchen Bestand haben Sie gemacht? Entspricht die
Realität auf Ort den von den westlichen Medien verbreiteten Äußerungen?
Massive Demonstrationen, Schüsse mit scharfer Munition die mindestens
5000 Tote verursacht haben, die Errichtung einer schon 1500 Mann starken
Freien Syrischen Armee, und dieser Anfang eines „Bürgerkrieges“ mit 1,5
Millionen Syriern, die in dieser Falle Hunger leiden?
Thierry Meyssan: Eine
französische Redewendung behauptet, dass „wenn man seinen Hund ertränken
will, man ihn der Tollwut anklagt“. Im vorliegenden Fall sagen die
westlichen Medien, wenn ihre Mächte in einen Staat einmarschieren
wollen, dass es sich um einen barbarische Diktatur handelt, dass ihre
Armee die Zivilbevölkerung beschützen kann und dass sie das Regime
stürzen und Demokratie bringen müssen. Die Wahrheit haben wir im Irak
und Libyen gesehen: die Kolonialmächte kümmern sich nicht im Geringsten
um das Schicksal der Bevölkerung, sondern verheeren das Land und
plündern es. Es gab niemals Massen Demonstrationen gegen das syrische
Regime, und deshalb war es auch nicht möglich sie mit scharfen Schüssen
aufzureiben. Es kam in den letzten Monaten zu ungefähr 1500 Toten, aber
absolut nicht so wie es geschildert wurde. Es gibt wohl eine „freie
syrische Armee“, aber sie ist in der Türkei und im Libanon zu Hause, und
hat höchstens einige hundert Soldaten, die man den TV-Kameras
vorstellt. Zu letzt ist Syrien, was Nahrungsmittel betrifft, autark und
trotz Lieferungsschwierigkeiten gibt es keine Knappheit. Die westliche
Medienversion ist eine reine Fiktion. Die Wahrheit vor Ort ist, dass der
Westen einen nichtkonventionellen Krieg gegen Syrien führt. Er hat
arabische und Paschtunkämpfer geschickt, von Prinz Bandar Bin Sultan
angeheuert und von den französischen und deutschen Spezialtruppen
ausgebildet. Diese Kämpfer haben zuerst versucht, ein islamisches Emirat
auszurufen, dann weitgängige Fallen gegen syrische Militärkonvois
eingeleitet. Heute werden sie von einem Al-Qaida Emir, dem libyschen
Abdelhakim Belhaj, kommandiert. Sie haben auf große Operationen
verzichtet und führen Kommandoaktionen im Zentrum von Städten, um dort
Terror auszulösen, mit der Hoffnung einen religiösen Bürgerkrieg
anzustacheln. Ihre letzte Heldentat ist dieses doppelte Attentat in
Damaskus.
La Nouvelle République:
In einem Ihrer Artikel stellen Sie Sich die Frage über die, vom
syrischen Observatorium(in London basiert) der Menschenrechte
gelieferten Informationen: wie kommt es, dass Institutionen wie das Hohe
Kommissariat der Menschenrechte der UNO diese einfach übernehmen ohne
sie zu prüfen. Ihrer Meinung nach, welchem Spiel widmen sich die UNO
Institutionen?
Thierry Meyssan:
Das
syrische Observatorium der Menschen-Rechte (SOMR) ist plötzlich auf der
Medienebene aufgetaucht. Dieser Verein hat keine Vergangenheit, auf die
er sich berufen könnte, und nur eines ihrer Mitglieder ist bekannt. Es
ist ein Kader der syrischen Muslimbrüderschaft, besitzt drei Passe,
einen syrischen, einen britischen und einen aus Schweden. Dieser Herr
verkündigt jeden Tag die Anzahl der „Opfer der Unterdrückung“, ohne
seine Aussagen zu begründen. Seine Behauptungen sind unüberprüfbar und
daher ohne Wert. Sie werden trotzdem von allen jenen übernommen, denen
sie nützlich sind. Das Hohe Kommissariat der Menschenrechte hat drei
Kommissare für die Forschung über die Syrienereignisse beauftragt. Ihre
Mission überschreitet die Kompetenzen der UNO, welche regelmäßige
Inspektionen vorsieht, die Syrien, den Abkommen entsprechend, empfängt.
Wie in Sachen Hariri (Libanon) gehen die Vereinten Nationen vom Prinzip
aus, dass die örtlichen Obrigkeiten (libanesischen oder syrischen)
unfähig oder unehrlich sind und dass man sie durch ausländische Fahnder
ersetzen muss. Daher können sie nicht ganz einfach Kooperation der
lokalen Macht erwarten. So haben sie einfach von der Schweiz und der
Türkei aus gearbeitet. Die Entsendung der drei Kommissare liefert keine
Garantie für Unabhängigkeit. Sie kommen alle drei aus Ländern, die sich
für die militärische Intervention in Syrien erklärt haben. Ihre Methode
ist auch nicht akzeptierbar: unter dem Druck der türkischen Kommissarin,
die eine engagierte Aktivistin im Kampf gegen Gewalttaten an Frauen
ist, hat die Kommission es für überflüssig gehalten, die Zeugenaussagen
zu überschneiden und zu prüfen: es wäre die Sache der Angeklagten ihre
Unschuld zu beweisen, wenn man sie vor Gericht stellte. Diese Art von
Inquisition macht es möglich, jedermann für jegliche Schuld anzuklagen,
aber beweist überhaupt nichts. Die Fahnder haben mehr als 200 Leute
abgehört, die vorgeben, dass sie über Informationen verfügen und die
behaupten, manchmal Zeuge, oder selbst Opfer von Ausschreitungen gewesen
zu sein. Gemäß der Prozedur bleibt der Name der Zeugen in diesem Stand
der Fahndung geheim. Aber der Prozedur nicht entsprechend bleiben die
Namen der Opfer hier auch geheim. Die Hohe Kommissarin versichert mit
lehrerhaftem Ton, dass die Unterdrückung mehr als 5000 Opfer gefordert
hat, aber sie zitiert nur zwei Namen. Wirklich kein Glück, weil die
beiden Fälle sehr ausführlich von Al-Dschasira erörtert wurden und
Objekt von vielfachen Studien waren. Der Erste betrifft ein Kind, das
auf der Strasse von unbekannten Schützen aus einem Wagen getötet wurde;
der Zweite betrifft einen jungen Mann, der von einer bewaffneten Bande
angeheuert wurde, um an einem Angriff gegen eine Militär Residenz
teilzunehmen und der mit einer Kalaschnikoff in der Hand, gefallen ist.
Das hat also nichts mit Repression einer pazifistischen Demonstration zu
tun. Wir erwarten daher von der Hohen Kommissarin, dass sie die Namen
der Opfer freigibt, damit wir die Richtigkeit der Anschuldigungen
überprüfen können. Zahlreiche Instanzen der UNO haben ihre
Glaubwürdigkeit verloren. Zum Ersten sollte man nicht erlauben, die
Verantwortung Experten anzuvertrauen, die nicht den Status von
internationalen Beamten haben, die aber nur nationale, von ihrem Land
beauftragte Beamten sind. Man sollte nicht im Namen der UNO handeln
können, wenn man gezwungen ist, seiner nationalen Hierarchie zu
gehorchen.
La Nouvelle République:
In Syrien sowie in Libyen behaupten gewisse Beobachter, dass die
Rebellen in Wirklichkeit Mordgeschwader, ausländische Söldner sind. Was
können Sie dazu sagen?
Thierry Meyssan: In
beiden Fällen nehmen inländische Leute am Kampf teil, aber sie sind in
Minderheit, verglichen mit den ausländischen Kämpfern. In Libyen haben
sich Gruppen aus gewissen Stämmen den fremdländischen Söldnern für die
Sezession der Cyrenaika angeschlossen. Aber sie haben sich geweigert in
Tripolitanien zu kämpfen, um Kadhafi zu stürzen. Es war nötig Al-Qaida
Truppen zu entfalten, dann 5000 Kommandos, der regulären Armee des Katar
eingegliedert, an den Strand zu bringen, um die Schlacht am Festland zu
liefern. In den letzten Tagen der Jamahiriya ist der Stamm von Misrata
den NATO Kräften gefolgt und in Tripolis eingedrungen, als die
Bombardierungen und die Schlacht zu Ende war. Die einzigen Libyer, die
vom Anfang bis zum Ende gegen das Regime gekämpft haben, sind jene von
Al-Qaida und eine Soldatengruppe, die mit General Abdel Fatah Younes
abtrünnig geworden sind. Nun war General Younes in der Vergangenheit von
Oberst Kadhafi beauftragt worden, die Al-Qaida Rebellen zu bekämpfen.
Das ist der Grund, warum seine Alliierten von Al-Qaida ihn ermordet
haben, um sich sofort zu rächen, als sie ihn nicht mehr brauchten. In
Syrien gibt es Aufständische, es sind die Muslimbrüderschaften und die
Takfiristen. Es gibt hauptsächlich ausländische Kräfte, die Gauner
engagieren und sie reichlich für Zivilistenmorde bezahlen. Das Problem
der NATO ist, zum Unterschied von Libyen, dass Syrien eine historische
Nation ist. Es gibt keine regionale Spaltung wie zwischen der Cyrenaika
und Tripolitanien. Die einzige mögliche Spaltung existiert auf
religiösem Grund, aber sie funktioniert derzeit nicht, obwohl man einige
solche Konfrontationen wie in Banyias und Homs erlebt hat. Die
offizielle Ankunft der Libyer, um ein Hauptquartier in der Türkei
aufzubauen und syrische Deserteure in diese Struktur einzugliedern,
vervollständigt das ganze Unternehmen.
La Nouvelle République:
Der nationale syrische Rat hat sich unter Frankreichs Obhut in Paris
gebildet. Was kann man darüber sagen? Wird Frankreich wie in Libyen mit
seinem „Gesandten“ BHL (Bernard Henry Levy v.Ü.) erste Geige spielen,
oder mit einer anderen Strategie kommen?
Thierry Meyssan: Zuerst
sieht man leicht, dass die französischen Institutionen zum Teil von
illegitimen Leuten wie Bernard Henry Levy geführt werden, welche
Verantwortungen ohne Recht und ohne Titel übernehmen. Dann dienen
gewisse gewählte Personen, wie Präsident Sarkozy nicht nationalen
Interessen, sondern jenen des imperialen US-Systems. Unter deren
Obrigkeit hat sich Frankreich schon in einem Konflikt in der
Elfenbeinküste engagiert, um das neo-konservative Projekt einer
Neuformung des „Erweiterten Mittleren Orient“ auf Nordafrika
auszudehnen. Frankreich hat keine Streitsachen mit Syrien mehr, wie es
der Besuch von Präsident el-Assad in Paris, zum Anlass des
Mittelmeergipfels gezeigt hat. Man könnte höchstens meinen, dass der
alte Konflikt der 80er Jahre (speziell der Mord des französischen
Botschafters in Beirut) getilgt wurde aber ohne Entschädigung, und man
ihn eventuell reaktivieren könnte. Aber ich bin nicht sicher, ob in
dieser Angelegenheit das französische Verschulden nicht größer war als
das der Syrier. Kurzum, Paris hat keinen Grund Damaskus anzugreifen. Wir
wissen alle genau, dass die wahre Geschichte woanders liegt: die
Dominanz und die Ausbeutung dieser Gegend hängen von dem Bündnis der USA
und Israel einerseits, mit der Türkei und den Ölmonarchien andererseits
ab. Dieses Bündnis stößt auf eine Widerstands-Achse, welche aus Hamas,
dem Libanon, Syrien, Irak und Iran gebildet und von Russland und China
unterstützt wird. Auf regionaler Ebene haben sich zwei Pole gebildet,
der eine ausschließlich sunnitische, der andere multikonfessionelle (und
nicht schiitisch, wie es die Neo-Konservativen behaupten um die Fitna
aufzudrängen). Frankreich ist Handlanger der USA geworden. Es kann
Syrien zu jeder Zeit Krieg erklären. Jedoch hat es allein nicht das
Vermögen dafür, selbst auch nicht mit Hilfe Großbritanniens. Und der
Gipfel vom 2. Dezember, der ein Dreierbündnis mit Deutschland schaffen
sollte, wurde wegen Finanzschwierigkeiten abgeblasen. Inmitten der
Euro-Krise haben die Europäer nicht die Mittel ihres Imperialismus.
La Nouvelle République:
Die arabische Liga hat in einer unerwarteten Art beschlossen, Syrien
aus allen Institutionen auszuschließen, und zwar, bevor noch die, der
syrischen Führung anerkannte Frist von 15 Tagen, um den arabischen
Schlichtungsplan der Krise zu entfalten, abgelaufen war. Wie kann man
diesen Beschluss betrachten, der den Regeln der Liga widerspricht, weil
Einstimmigkeit mit höchstens einer Gegenstimme in solchen
Angelegenheiten verlangt wird?
Thierry Meyssan: Die
internationalen Organisationen, ob es sich um die arabische Liga oder
die UNO handelt, gehören nicht den Mitgliedstaaten, aber jenen die sie
finanzieren. Die Liga ist ein Spielzeug in den Händen der Ölmonarchien
geworden. Leute die nicht einmal eine Verfassung besitzen, denken nicht
daran, die Statuten der Organisationen, die sie gekauft haben, zu
beachten. Über diese Feststellung hinaus, ist die Beschlussfassung durch
die Liga, Syrien wirtschaftlich zu belagern, nicht eine Sanktion für
einen begangenen Fehler, sondern der Anfang eines konventionellen
Krieges.
La Nouvelle République:
Das gleiche Szenario bildet sich, wie in Libyen. Werden wir die
gleichen Zwischenfälle in Syrien erleben, oder sind die Umstände anders,
oder werden wir es mit einer anderen Lage zu tun haben?
Thierry Meyssan: Die
Umstände und die Akteure sind anders. Libyen ist ein isolierter Staat.
Oberst Gaddafi hat viel Hoffnung erregt und viel enttäuscht. Er war
Anti-Imperialist, aber hatte viele geheime Abkommen mit den USA und
Israel. Er war der Alliierte von allen und hat jeden vernachlässigt oder
gar verraten. Sein Land kannte keine Diplomatie, keine Allianzpolitik,
abgesehen von der Investitionspolitik für die Entwicklung von Afrika.
Libyen stand deshalb isoliert gegenüber der NATO. Im Gegenteil ist
Syrien eine alte Nation, die immer Bündnisse geschmiedet hat, selbst in
seiner Wahl des Widerstandes an Seiten der Palästinenser, der Libanesen,
Iraker und Iraner. Seine Diplomatie ist so stark, dass sie in wenigen
Tagen das doppelte russische und chinesische Veto im Sicherheitsrat
bekommen konnte. Jeglicher Krieg gegen Syrien wird sich auf die ganze
Region verbreiten, oder selbst in einen Weltkrieg ausarten, falls der
Iran und Russland direkt eingreifen. Die Libyer sind noch dazu nur 5
Millionen, während Syrien 23 Millionen Einwohner hat. Libyen hatte außer
dem Tschadkrieg keine militärische Erfahrung, während Syrien seit 60
Jahren gewohnt ist, in einer kriegsträchtigen Region zu leben. Die
Experten der kriegerischen Lobby aus Washington behaupten, dass die
syrische Armee schlecht ausgerüstet und schlecht trainiert sei. Sie
versprechen, dass eine internationale Intervention eine
Gesundheitspromenade sein wird. Das ist lustig, da dieselben Experten in
2006 behaupteten, dass Israel einen neuen Krieg gegen Syrien vermeiden
sollte, weil Syrien zu gefährlich wäre.
La Nouvelle République:
Manche Leute meinen, dass das, was in Syrien passiert, nur eine
Verlängerung der „arabischen Frühlinge“ sei, während Syrien seit der
Bush-Ära auf der amerikanischen Agenda steht, laut der Erklärungen von
General Wesley Clark; was glauben Sie, welcher Ausweg existiert für
Bachar Al-Assad, um die Konspiration zu umgehen?
Thierry Meyssan: Wie
Sie uns daran erinnern, wurde der Beschluss Syrien anzugreifen, in einer
Versammlung in Camp David am 15. September 2001 getroffen, gerade nach
den Attentaten in New York und Washington. Die Bush Regierung hatte eine
Reihe von Kriegen geplant: Afghanistan und Irak, Libyen und Syrien,
Sudan und Somalia, um mit dem Iran zu schließen. Im Jahr 2003, kurz nach
dem Fall von Bagdad hat der Kongress den Syrian Acountability Act
verabschiedet, der den US-Präsidenten beauftragt, Syrien so schnell wie
möglich Krieg zu erklären. Was Präsident Bush aus Zeitmangel nicht
machen konnte, soll sein Nachfolger Barack Obama nun ausführen. Der
General Wesley Clark hat diese Strategie schon vor vielen Jahren
freigegeben, um sich gegen sie besser zu wehren. Er hat eine sehr
wichtige Rolle im Libyenkrieg gespielt, den er verzweifelt versucht hat,
mit Hilfe von zahlreichen Aktivgenerälen zu stoppen. Alle diese Leute
verkörpern eine Strömung höherer Offiziere, die sich weigern, ihre
Soldaten in Auslandsabenteuern sterben zu lassen, die nicht den
Interessen der USA dienen, sondern nur einigen Israel nahestehenden
Ideologen. Sie werden alles in Gang setzen, um den Krieg in Syrien zu
verhindern und besitzen mehr Hebel als man glaubt, um die Weltpolitik zu
beeinflussen. Präsident Bachar Al-Assad ist nicht wie sein Vater. Er
ist kein Autokrat. Er regiert mit einer Mannschaft. Die Strategie seiner
Regierung besteht einerseits darin, den zivilen Frieden gegen die
Destabilisierungsversuche und konfessionelle Spaltungen zu schützen und
andererseits die Bündnisse zu stärken, speziell mit Iran, Russland und
China.
La Nouvelle République:
Eine Erkenntnis, die sich uns in den Wirren der arabischen Welt
aufdrängt, sei es in Tunesien, Ägypten, Libyen und jetzt in Syrien, ist
diese „Versöhnung“ des Westens mit den islamistischen Strömungen, die er
doch bekämpft hatte. Was sind die Gründe und Ziele dieses neuen Spieles
des Westens Ihrer Meinung nach?
Thierry Meyssan: Ich
glaube nicht, dass die Islamisten jemals als Feinde des Westens
betrachtet wurden. Wenn man die Geschichte studiert, sieht man, dass
alle Imperien sie benützt haben, um den nationalen Widerstand zu zügeln.
Es war der Fall für die Ottomanen, der Franzosen und der Engländer.
Erinnern Sie Sich, wie Frankreich niemals das Gesetz der Trennung
zwischen Kirche und Staat (1905) in Algerien angewendet hat. Es hat im
Gegenteil die Moscheen gefördert, um seine Autorität durchzusetzen. Die
Angel-Sachsen haben es ebenfalls so gemacht. Noch mehr haben die USA
islamistische Bewegungen in den 80er Jahren mit der Hoffnung kreiert,
einen Zivilisationskonflikt zwischen der Muslimwelt und der Sowjetunion
zu provozieren. Es war die Strategie von Bernard Lewis, die von Zbigniew
Brzezinski angewendet, und die von Samuel Huntington für das allgemeine
Publikum zur Theorie gemacht wurde. Das hat Al-Qaida gegeben. Diese
Leute haben die Interessen des US- Imperiums in Afghanistan,
Jugoslawien, in Tschetschenien und in neuerer Zeit in Irak, Libyen und
jetzt in Syrien verteidigt. Abdelhakim Belhaj, den Ayman Al-Zawahiri zu
Nummer 3 von Al-Qaida ernannt hat, als die islamische Gruppe de Kämpfer
in Libyen von Al-Qaida absorbiert wurde, ist heute Militärgouverneur von
Tripolis und Kommandant der freien syrischen Armee. Er gibt sich ohne
Komplex als Mann der NATO aus und verlangt vom MI6, der ihn gefoltert
hatte, dass er ihm Rechenschaft ablege. Was die Muslimbrüder betrifft,
welche Washington heute in Tunis, in Libyen und Ägypten an die Macht
bringt und die er in Syrien installieren will, sind sie geschichtlich
mit dem MI6 verbunden. Sie waren von Hassan Al-Banna konzipiert um die
Engländer zu bekämpfen, aber sie wurden von den Engländern benützt um
Nasser zu bekämpfen. Heute sind sie mit Geldsubventionen vom GCC (Golf
Cooperation Counsil) überhäuft, was kein Zeichen von Unabhängigkeit ist.
La Nouvelle République:
Wenn morgen das Bachar Al-Assad Regime fallen sollte, was wären die
Folgen für die Widerstandsachse Teheran-Hezbollah-Hamas?
Thierry Meyssan: Die
USA machen kein Geheimnis daraus, falls es ihnen gelingen sollte Syrien
zu zerstören – ich sage „Syrien zu zerstören“ – weil die Frage des
Widerstandes weit über die Person von Präsident el-Assad hinweggeht –
würden sie den Krieg fortsetzen und sofort den Iran angreifen. Daher
würde der Fall Syriens eine Periode mit großer Instabilität einleiten,
die in einen Weltkonflikt entarten könnte.
La Nouvelle République:
In dem syrischen Konflikt hat die Türkei Partei ergriffen und die
Thesen der syrischen, pro-westlichen Opposition vollkommen übernommen.
Indem die Türkei bereit ist, das syrische Regime zu verbannen, Syrien
darzustellen, als würde es sein eigenes Volk töten, die Demonstrationen
zur Unterstützung des syrischen Präsidenten nicht zuzugeben, die
Dimension der bewaffneten Protestbewegung zu bestreiten und es bis zur
Negierung der Bürgerwahlrechte der inneren Opposition und ihrer
parlamentarischen Repräsentanzmöglichkeit zu treiben, und sie nur dem
syrischen National Rat zuzuerkennen, wie können Sie diesen Umschwung der
Türkei erklären?
Thierry Meyssan: Wir
hatten alle vergessen, dass die Türkei NATO Mitglied ist. Das türkische
Heer ist eine amerikanische Hilfstruppe. In der Vergangenheit war es
dieses, welches die USA in Korea gerettet hatte. Die Türkei beherbergt
US-Basen und hat gerade eingestimmt, dass das Pentagon seine derzeit in
Spanien liegenden NATO-Stützpunkte in die Türkei übersiedelt, und neue
Radarstationen, die den Iran überwachen sollten, dort aufbaut. Seit
einem Jahrhundert begehen die türkischen Leader laufend politische
Fehler. Erdogan hofft der Gendarm der Region zu werden, wie es vor ihm
der Schah Reza Pahlavi und Saddam Hussein gemacht haben. Die Geschichte
hat gezeigt wie die USA jene behandeln die ihnen dienen: sie benützen
sie und eliminieren sie später.
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