Mittwoch, 22. Juni 2011

Jetzt rächt sich das Demokratiedefizit der EU

Die Europäische Union war in der Vision vieler ihrer Befürworter als Bundesstaat ähnlich der in den USA bestehenden Verfassungsordnung konzipiert. Die Vereinigten Staaten von Europa sollte das Endziel des Integrationsprozesses sein. Umgekehrt gab es spätestens mit dem Beitritt Großbritanniens eine andere Vision, die die EU eher als Freihandelszone ohne eine weitergehende politische Integration anstrebte. Entsprechend wurden hier die Weichen weg von einem Zentralstaat hin zu einem Staatenbund gestellt.


Mit einer bewussten Schwächung des  Zentralstaatsgedanken durch das Prinzip der Subsidiarität sollte eine zu weitreichende Übertragung von Rechten der einzelnen Nationalstaaten verhindert werden. Statt zentralstaatlicher Bürokratie sollte die Eigenverantwortung der einzelnen Nationalstaaten im Vordergrund stehen. Das führte zwangsläufig auch zu einem Minimalismus was die Autorität der EU-Organe anging.


Das Scheitern der EU-Verfassung

Der vom Europäischen Konvent erarbeitete Entwurf einer EU-Verfassung scheiterte aufgrund von Volksabstimmungen in den Niederlanden und Frankreich. In Deutschland wie in zahlreichen anderen Ländern wurden Volksabstimmungen erst gar nicht zugelassen. Man befürchtete ähnliche Ergebnisse. Seitdem hat die Idee einer Europäischen Union als Vereinigte Staaten Europas einen nachhaltigen Riss bekommen. Offenbar fehlt es an tragfähigen Mehrheiten in der Bevölkerung der einzelnen Mitgliedsländer. Während man sich im Falle des Beitritts der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik Deutschland auf eine breite Mehrheit in der Bevölkerung in beiden Landesteilen stützen konnte, war dies also in Europa keineswegs der Fall.

Der Vertrag von Lissabon

Um trotzdem den Integration fortsetzen zu können, wurde ein leicht überarbeitetes Vertragswerk, der Vertrag von Lissabon, im Jahr 2009 verabschiedet. Um durch Referenden in den einzelnen Mitgliedsländern zu diesem Vertrag ein erneutes Scheitern auszuschließen, wurde dieser Vertrag ohne explizite Zustimmung der Bevölkerungen in den Mitgliedsländern durch die jeweiligen Parlamente ratifiziert. Dies führte in Deutschland zu einer Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht, das in seinem Urteil dem Integrationsprozess ohne ausreichende demokratische Legitimation enge Grenzen gezogen hat. Wegen des Demokratiedefizits wurde vom Bundesverfassungsgericht die Übertragungsmöglichkeit zentraler Rechtsgüter wie beispielsweise auch der Budgethoheit Grenzen gesetzt. Ohne Demokratie, d.h. ausreichende Legitimation durch eine adäquate Repräsentation der Bevölkerung der Mitgliedsländer insbesondere auch der Deutschland, dürfen Rechte wie Steuerhoheit oder Budgethoheit nicht übertragen werden. Das Europäische Parlament besitzt daher auch diesbezüglich keinerlei Rechte.
Trotzdem wird immer wieder versucht die hoheitlichen Rechte durch teilweise Übertragung auf EU-Organe auszuhöhlen. Insbesondere Deutschland hat sich gegen diese Versuche in der Vergangenheit zur Wehr gesetzt. Im Kern wäre eine solche Debatte erst sinnvoll zu führen, wenn man dem Demokratiedefizit der EU-Institutionen wirkungsvoll begegnen würde.

Wirrwarr der EU-Finanzverfassung

Die bisherige Finanzverfassung der EU ist ein Patchwork von komplizierten Regelungen, die insbesondere auch eine einheitliche Steuerpolitik auf der Einnahmeseite der Mitgliedsländer verhindert. Dies führt zu dem schon lange beklagten unfairen Steuerwettbewerb zwischen den Mitgliedsländern. Niedrige Steuersätze z.B. bei der Unternehmensbesteuerung dienen immer wieder dazu sich hierdurch ungerechtfertigte Steuervorteile gegenüber anderen Ländern zu verschaffen. Absurderweise hat der Europäische Gerichtshof den Steuerwettbewerb der Mitgliedsländer sogar noch durch seine Rechtsprechung sanktioniert. Er beansprucht daher sogar bereits jetzt die Oberhoheit über die Steuergesetzgebung der Mitgliedsländer in dieser Frage. Damit ist aber zugleich eine weitere Integration zu einem Europäischen Bundesstaat eine klare Grenze gesetzt worden. Es geht hier nicht mehr um ein einheitliches in allen Mitgliedsstaaten verbindliches Steuerrecht – Stichwort: Level playing field -, sondern jeder kann mehr oder weniger frei seine Steuergesetzgebung gestalten – Stichwort: Subsidiaritätsprinzip. Wenn man aber auch der Ebene der höchsten EU-Organe damit einen einheitlichen Bundesstaat im Prinzip negiert, kann man nicht zugleich die Übertragung der zentralen Rechte der nationalen Parlamente auf ein EU-Organ fordern. Insbesondere kann dies nicht ohne eine entsprechende EU-Verfassung, die durch entsprechende Referenden der Mitgliedsländer zu legitimieren wäre, geschehen. Desweiteren dürften bei einer solchen Verfassung die elementaren Grundrechte, denen nach dem Grundgesetz eine Ewigkeitsgarantie zukommt, nicht abgeschafft oder in ihrem Kern in Frage gestellt werden.

ESM ein Verfassungsbruch

Mit der Errichtung immer neuer Rettungsschirme insbesondere jetzt durch den ESM wird jedoch das Grundgesetz in seinem Kern, der Budgethoheit des Bundestags, fundamental in Frage gestellt. Dies ist jedenfalls die Rechtsauffassung der Kläger vor dem Bundesverfassungsgericht über das jetzt das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden haben wird. Könnten die Regierungen je nach Bedarf sich Finanzmittel außerhalb der Budgethoheit der einzelnen Parlamente über den ESM ohne Legitimation durch das jeweilige Parlament verschaffen, dann wäre die Budgethoheit der Parlamente de facto aufgehoben. Hinzu kommt das der ESM mit der No-Bailout-Klausel des Art. 125 AEUV - kurz Lissabonvertrags - unvereinbar ist.

Mit dem Ankauf von fehlbewerteten Staatsschuldverschreibungen hat die EZB gegen den Maastricht-Vertrag verstoßen

Als im vergangenen Jahr die EZB in großem Umfang damit begann Staatsschuldverschreibungen von bedrohten Krisenländern auszukaufen, verstieß sie aus Sicht zahlreicher Beobachter gegen die vertraglichen Regeln, die ihr genau dies untersagen. Axel Weber, der ehemalige Bundesbankpräsident scheiterte mit seinen Bemühungen dies wieder frühzeitig zu stoppen. Die Mehrheit im Führungsgremium der EZB unter der Führung von Jean-Claude Trichet setzte sich über die insbesondere aus Deutschland geäußerten Bedenken hinweg. Die Bundesregierung sah diesem Treiben tatenlos zu.

Stunde der Exekutive?

All diese Rechtsverstöße der verschiedenen Organe auf EU-Ebene und der jeweiligen nationalen Regierungen sind bisher ungeahndet geblieben. Man beruft sich auf einen überordneten Notstand, der keine anderen Möglichkeiten lasse – Stichwort Merkel: alternativlos. Mit der Vorhersage eines ansonsten unvermeidbaren Zusammenbruchs des Finanzsystems der EU und darüber hinaus, werden die bestehenden Rechtsrahmen als nicht mehr gültig angesehen. Wie sagte schon Carl Schmitt so schön: Der, der den Notstand ausruft bestimmt die Regeln. Dies waren auch die gleichen Überlegungen, die die Weimarer-Republik in den Abgrund stürzten. Die Ermächtigungsgesetze höhlten den Parlamentarismus soweit aus, dass am Ende die Abschaffung durch die Nationalsozialisten nach ihrer Machtergreifung nur noch ein kleiner Schritt war. Im Kern führte der Drang der Exekutive seine Handlungsspielräume ohne demokratische Kontrollen auszuweiten dazu, dass zur Bekämpfung eines tatsächlichen oder imaginierten Notstands die Verfassung regelmäßig außer Kraft gesetzt wurde. Damit hört aber am Ende die Rechtsstaatlichkeit eines Gemeinwesens auf. Dem Notstand dürfen aber keinesfalls die Demokratie und der Rechtsstaat zum Opfer fallen. Sonst landen wir unweigerlich in der Autokratie.

Quellen:

Photo: Gerd Altmann pixelio.de

Text: http://www.readers-edition.de

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