Die Europäische Union war in der Vision vieler ihrer Befürworter als
Bundesstaat ähnlich der in den USA bestehenden Verfassungsordnung
konzipiert. Die Vereinigten Staaten von Europa sollte das Endziel des
Integrationsprozesses sein. Umgekehrt gab es spätestens mit dem Beitritt
Großbritanniens eine andere Vision, die die EU eher als Freihandelszone
ohne eine weitergehende politische Integration anstrebte. Entsprechend
wurden hier die Weichen weg von einem Zentralstaat hin zu einem
Staatenbund gestellt.
Mit einer bewussten Schwächung des
Zentralstaatsgedanken durch das Prinzip der Subsidiarität
sollte eine zu weitreichende Übertragung von Rechten der einzelnen
Nationalstaaten verhindert werden. Statt zentralstaatlicher Bürokratie
sollte die Eigenverantwortung der einzelnen Nationalstaaten im
Vordergrund stehen. Das führte zwangsläufig auch zu einem Minimalismus
was die Autorität der EU-Organe anging.
Das Scheitern der EU-Verfassung
Der vom Europäischen Konvent erarbeitete Entwurf einer EU-Verfassung scheiterte aufgrund von Volksabstimmungen in den Niederlanden und Frankreich.
In Deutschland wie in zahlreichen anderen Ländern wurden
Volksabstimmungen erst gar nicht zugelassen. Man befürchtete ähnliche
Ergebnisse. Seitdem hat die Idee einer Europäischen Union als Vereinigte
Staaten Europas einen nachhaltigen Riss bekommen. Offenbar fehlt es an
tragfähigen Mehrheiten in der Bevölkerung der einzelnen Mitgliedsländer.
Während man sich im Falle des Beitritts der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik
Deutschland auf eine breite Mehrheit in der Bevölkerung in beiden
Landesteilen stützen konnte, war dies also in Europa keineswegs der
Fall.
Der Vertrag von Lissabon
Um trotzdem den Integration fortsetzen zu können, wurde ein leicht
überarbeitetes Vertragswerk, der Vertrag von Lissabon, im Jahr 2009
verabschiedet. Um durch Referenden in den einzelnen Mitgliedsländern zu
diesem Vertrag ein erneutes Scheitern auszuschließen, wurde dieser
Vertrag ohne explizite Zustimmung der Bevölkerungen in den
Mitgliedsländern durch die jeweiligen Parlamente ratifiziert.
Dies führte in Deutschland zu einer Verfassungsbeschwerde vor dem
Bundesverfassungsgericht, das in seinem Urteil dem Integrationsprozess
ohne ausreichende demokratische Legitimation enge Grenzen gezogen hat.
Wegen des Demokratiedefizits wurde vom Bundesverfassungsgericht die
Übertragungsmöglichkeit zentraler Rechtsgüter wie beispielsweise auch
der Budgethoheit Grenzen gesetzt. Ohne Demokratie, d.h. ausreichende
Legitimation durch eine adäquate Repräsentation der Bevölkerung der
Mitgliedsländer insbesondere auch der Deutschland, dürfen Rechte wie Steuerhoheit oder Budgethoheit nicht übertragen werden. Das Europäische Parlament besitzt daher auch diesbezüglich keinerlei Rechte.
Trotzdem wird immer wieder versucht die hoheitlichen Rechte durch teilweise Übertragung auf EU-Organe auszuhöhlen. Insbesondere Deutschland hat sich gegen diese Versuche in der Vergangenheit zur Wehr gesetzt.
Im Kern wäre eine solche Debatte erst sinnvoll zu führen, wenn man dem
Demokratiedefizit der EU-Institutionen wirkungsvoll begegnen würde.
Wirrwarr der EU-Finanzverfassung
Die bisherige Finanzverfassung der EU
ist ein Patchwork von komplizierten Regelungen, die insbesondere auch
eine einheitliche Steuerpolitik auf der Einnahmeseite der
Mitgliedsländer verhindert. Dies führt zu dem schon lange beklagten
unfairen Steuerwettbewerb
zwischen den Mitgliedsländern. Niedrige Steuersätze z.B. bei der
Unternehmensbesteuerung dienen immer wieder dazu sich hierdurch
ungerechtfertigte Steuervorteile gegenüber anderen Ländern zu
verschaffen. Absurderweise hat der Europäische Gerichtshof den
Steuerwettbewerb der Mitgliedsländer sogar noch durch seine
Rechtsprechung sanktioniert.
Er beansprucht daher sogar bereits jetzt die Oberhoheit über die
Steuergesetzgebung der Mitgliedsländer in dieser Frage. Damit ist aber
zugleich eine weitere Integration zu einem Europäischen Bundesstaat eine
klare Grenze gesetzt worden. Es geht hier nicht mehr um ein
einheitliches in allen Mitgliedsstaaten verbindliches Steuerrecht –
Stichwort: Level playing field -, sondern jeder kann mehr oder weniger
frei seine Steuergesetzgebung gestalten – Stichwort:
Subsidiaritätsprinzip. Wenn man aber auch der Ebene der höchsten
EU-Organe damit einen einheitlichen Bundesstaat im Prinzip negiert, kann
man nicht zugleich die Übertragung der zentralen Rechte der nationalen
Parlamente auf ein EU-Organ fordern. Insbesondere kann dies nicht ohne
eine entsprechende EU-Verfassung, die durch entsprechende Referenden der
Mitgliedsländer zu legitimieren wäre, geschehen. Desweiteren dürften
bei einer solchen Verfassung die elementaren Grundrechte, denen nach dem
Grundgesetz eine Ewigkeitsgarantie zukommt, nicht abgeschafft oder in ihrem Kern in Frage gestellt werden.
ESM ein Verfassungsbruch
Mit der Errichtung immer neuer Rettungsschirme insbesondere jetzt
durch den ESM wird jedoch das Grundgesetz in seinem Kern, der
Budgethoheit des Bundestags, fundamental in Frage gestellt. Dies ist
jedenfalls die Rechtsauffassung der Kläger vor dem Bundesverfassungsgericht
über das jetzt das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden haben wird.
Könnten die Regierungen je nach Bedarf sich Finanzmittel außerhalb der
Budgethoheit der einzelnen Parlamente über den ESM ohne Legitimation
durch das jeweilige Parlament verschaffen, dann wäre die Budgethoheit
der Parlamente de facto aufgehoben. Hinzu kommt das der ESM mit der No-Bailout-Klausel des Art. 125 AEUV - kurz Lissabonvertrags - unvereinbar ist.
Mit dem Ankauf von fehlbewerteten Staatsschuldverschreibungen hat die EZB gegen den Maastricht-Vertrag verstoßen
Als im vergangenen Jahr die EZB in großem Umfang damit begann
Staatsschuldverschreibungen von bedrohten Krisenländern auszukaufen,
verstieß sie aus Sicht zahlreicher Beobachter gegen die vertraglichen
Regeln, die ihr genau dies untersagen. Axel Weber, der ehemalige
Bundesbankpräsident scheiterte mit seinen Bemühungen dies wieder
frühzeitig zu stoppen. Die Mehrheit im Führungsgremium der EZB unter der
Führung von Jean-Claude Trichet setzte sich über die insbesondere aus
Deutschland geäußerten Bedenken hinweg. Die Bundesregierung sah diesem
Treiben tatenlos zu.
Stunde der Exekutive?
All diese Rechtsverstöße der verschiedenen Organe auf EU-Ebene und
der jeweiligen nationalen Regierungen sind bisher ungeahndet geblieben.
Man beruft sich auf einen überordneten Notstand, der keine anderen
Möglichkeiten lasse – Stichwort Merkel: alternativlos. Mit der
Vorhersage eines ansonsten unvermeidbaren Zusammenbruchs des
Finanzsystems der EU und darüber hinaus, werden die bestehenden
Rechtsrahmen als nicht mehr gültig angesehen. Wie sagte schon Carl Schmitt so schön: Der, der den Notstand ausruft bestimmt die Regeln. Dies waren auch die gleichen Überlegungen, die die Weimarer-Republik in den Abgrund stürzten. Die Ermächtigungsgesetze
höhlten den Parlamentarismus soweit aus, dass am Ende die Abschaffung
durch die Nationalsozialisten nach ihrer Machtergreifung nur noch ein
kleiner Schritt war. Im Kern führte der Drang der Exekutive seine
Handlungsspielräume ohne demokratische Kontrollen auszuweiten dazu, dass
zur Bekämpfung eines tatsächlichen oder imaginierten Notstands die
Verfassung regelmäßig außer Kraft gesetzt wurde. Damit hört aber am Ende
die Rechtsstaatlichkeit eines Gemeinwesens auf. Dem Notstand dürfen
aber keinesfalls die Demokratie und der Rechtsstaat zum Opfer fallen.
Sonst landen wir unweigerlich in der Autokratie.
Quellen:
Photo: Gerd Altmann pixelio.de
Text: http://www.readers-edition.de
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