Vergangenen Dienstag zeigte die Rede Präsident Obamas zur Lage der
Nation, wie beschränkt, erbärmlich und reaktionär das politische System
Amerikas heute ist.
Die jährliche Rede des Präsidenten vor dem
US-Kongress ist seit Langem zu einem nichtssagenden Ritual verkommen.
Doch diesmal verschaffte sie einen erstaunlichen Einblick in die
Blindheit und Gleichgültigkeit, mit der das Establishment über die
katastrophale Lebenssituation von Millionen Amerikanern hinweggeht.
Weder
die herrschende Klasse, noch die von ihr kontrollierten Medienkonzerne
sind willens oder fähig, sich der sozialen Realität offen und ehrlich zu
stellen. Dies selbst ist Ausdruck der atemberaubenden sozialen
Ungleichheit und der Klassenspannungen, die das Leben in Amerika prägen.
Man befürchtet, dass jedes Eingeständnis des wirklichen Zustands der
Gesellschaft zum Zündfunken für die soziale Wut werden könnte, die
unmittelbar unter der Oberfläche glimmt.
Weder die Rekordzahlen
der Langzeitarbeitslosigkeit, noch die sinkenden Immobilienwerte für
Eigenheime oder die über eine Million jährlichen Zwangsräumungen wurden
in Obamas Rede auch nur erwähnt. Selbst der wachsende Hunger, die
Obdachlosigkeit und die Verarmung kamen nicht vor. Aus der stundenlangen
Rede erfuhr niemand, dass buchstäblich alle amerikanischen
Bundesstaaten und Kommunen insolvent sind und kurz davor stehen, Schulen
zu schließen, Lehrer und andere öffentliche Bedienstete zu entlassen,
andere in Zwangsurlaub zu schicken und Löhne und Renten zu kürzen.
Stattdessen
rühmte sich Obama, er habe "der Rezession das Rückgrat gebrochen". Sein
Beweis dafür? "Zwei Jahre nach der schlimmsten Rezession, die die
meisten von uns je erlebt haben, boomt der Aktienmarkt wieder. Die
Gewinne der Unternehmen steigen."
So lobte Obama zur besten
Sendezeit im Fernsehen den guten Reibach der Finanzparasiten, die in
erster Linie dafür verantwortlich waren, dass die US- und Weltwirtschaft
in die Knie ging. Nichts könnte die wirkliche Einstellung des
Präsidenten und der politischen Parteien besser demonstrieren.
Welche
soziale Schicht profitiert vom Aktienmarkt und den Rekordgewinnen der
Unternehmen? Welchen Vorteil haben diese Steigerungen für die
arbeitenden Amerikaner? Neunzig Prozent aller Aktien, Anlagen und
Investmentfonds in den USA befinden sich im Besitz der reichsten zehn
Prozent der Bevölkerung; mehr als die Hälfte davon wird vom reichsten
Prozent kontrolliert.
Für die Großunternehmen gab es noch mehr
gute Nachrichten in der Rede. So versprach Obama, die
Unternehmenssteuern zu senken und die Müllentsorgungs-Vorschriften für
Unternehmen zu lockern.
Die Erholung der Wall Street ist das
direkte Ergebnis der Regierungspolitik. Sie hat den Banken viele
Milliarden teure Rettungspakete verschafft. Die Niedrigzinspolitik der
Notenbank Federal Reserve und das Fehlen irgendeiner wirksamen Kontrolle
des Finanzsystems heizen heute exakt die gleichen betrügerischen
Finanzgeschäfte wieder an, die im September 2008 zum Zusammenbruch
geführt haben.
Die Unternehmen haben dem Weißen Haus auch ihre
Rekordgewinne zu verdanken. Obwohl die Regierung das Gegenteil
verkündet, ist ihr die hohe Arbeitslosigkeit sehr willkommen, denn sie
ermöglicht den Unternehmen, ihre Gewinne zu steigern, indem sie Arbeiter
zwingt, niedrigere Löhne und Sozialleistungen zu akzeptieren. Die
Angriffe der Regierung auf die Arbeiter von General Motors und Chrysler
eröffneten eine Kampagne zur Lohnsenkung im ganzen Land. Vor kurzem
wurden auch die Gehälter der Angestellten des Bundes eingefroren.
Obama
gab in seiner Rede vom Dienstag zu verstehen, dass er eine drastische
und dauerhafte Senkung des Lebensstandards der Arbeiterklasse anstrebt.
Dies ist Teil seiner Strategie zur Verdoppelung des Exports in den
nächsten fünf Jahren. Was auch sonst soll es bedeuten, wenn er sagt, die
Vereinigten Staaten würden sich in die Lage versetzen, sich mit
Niedriglohnländern wie China und Indien zu messen? Seine
Wirtschaftspolitik setzt "Wachstum" und "Schaffung von Arbeitsplätzen"
mit Gewinnsteigerung für die Unternehmen gleich. Das Ziel besteht darin,
die Kluft zwischen den Arbeitskosten in den USA und diesen
aufstrebenden Marktwirtschaften zu verringern, indem Löhne, Renten und
Sozialleistungen reduziert und die Arbeitsintensität gesteigert werden.
Obama
versucht zuweilen, die Aura Kennedys und des Wetteiferns um die
Eroberung des Weltraums in den 1960er Jahren zu beschwören. So erklärte
er, die Globalisierung und der Aufstieg Chinas hätten für "unsere
Generation" ein Sputnik-Moment hervorgebracht. Dies war ein zynischer
Versuch, im Namen von Einigkeit und Opferbereitschaft die Politik des
Klassenkriegs gegen die große Mehrheit zu verschleiern, der im Interesse
einer winzigen aristokratischen Minderheit geführt wird.
Geht es
nach Obamas Programm (mit dem Titel "Die Zukunft gewinnen"), muss die
Arbeiterklasse alle Opfer bringen. Sie wird durch soziale Kürzungen
ausgeblutet (alle Staatsausgaben mit Ausnahme derer für Verteidigung
werden eingefroren). Danach folgen Angriffe auf die Grundversorgung für
Gesundheit (Medicare, Medicaid) und soziale Sicherheit.
Den
Reichen werden (im Namen der "Steuervereinfachung") weitere
Steuererleichterungen und ein größerer Anteil am Nationaleinkommen
gewährt.
"Wir müssen Amerika zum besten Platz für Geschäfte
machen", verkündete Obama, – frei nach den Worten des früheren
US-Präsidenten Calvin Coolidges: "Business ist das Geschäft Amerikas."
Obama hat das Weiße Haus in eine Zweigstelle von J.P. Morgan Chase oder
General Electric verwandelt. In der Tat hat er unmittelbar vor der Rede
den Multimillionär und Vorstand von J.P. Morgan, William Daley, zu
seinem Stabschef im Weißen Haus ernannt und dem CEO von General
Electric, Jeffrey Immelt, die Leitung des neu eingerichteten Rats für
Arbeit und Wettbewerb übertragen.
Als Obama 2008 an die Macht
kam, lenkten mächtige Kreise aus der Finanzwirtschaft und Politik den
Zorn der Bevölkerung über die Bush-Regierung und ihre militaristische
und unternehmerfreundliche Politik auf Obamas Wahlkampagne. 2010
manipulierte die herrschende Klasse die Halbzeitwahlen, indem sie die
weit verbreitete Desillusionierung über Obamas Wahlbetrug und die
Unzufriedenheit mit seiner rechten Politik ausnutzte, um den
Republikanern zum Sieg zu verhelfen. Dies muss nun herhalten, um einen
weiteren Rechtsruck Obamas zu rechtfertigen.
Die gesamte
Erfahrung mit der Politik dieser Regierung beweist, wie undemokratisch
das Zwei-Parteien-System ist, und dass es das Leben der Bevölkerung
vollständig unter das Joch der Finanzoligarchie zwingt.
Um ihre
Interessen zu verteidigen, muss die Arbeiterklasse eine sozialistische
Bewegung aufbauen, die unabhängig von der Demokratischen Partei und
ihren Gefolgsleuten im Gewerkschaftsapparat ist. Sie muss für eine
Arbeiterregierung kämpfen, um die Umklammerung der Finanzaristokratie
abzuschütteln und das Wirtschaftsleben neu zu ordnen, um die
gesellschaftlichen Bedürfnisse zu befriedigen, und nicht den privaten
Profit.
Wir rufen alle Arbeiter und jungen Menschen auf, sich
diesem Kampf anzuschließen, der Socialist Equality Party beizutreten und
sie mit aufzubauen.
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