Mittwoch, 19. Januar 2011

Orwell`s Vision fast erreicht!


Ein deutscher Europa-Politiker warnt vor einem «Forschungsprojekt», das die Totalüberwachung der Bürger bringe. Der Praxistest soll an der Fussball-EM 2012 erfolgen. 

George Orwells Schreckensvision von einem Big-Brother-Staat, der seine Bürger komplett überwacht, ist näher denn je. Die europäische Union finanziert ein grenzüberschreitendes Forschungsprojekt, das alle bestehenden Überwachungstechniken zu einem mächtigen Instrument verbinden soll. Beteiligt sind wissenschaftliche Institute in 10 Ländern – darunter Deutschland und Österreich.

«Für die Sicherheit der Bürger» – prangt auf der Website des Indect-Projekts. Man wolle Kriminalität bekämpfen – im Internet und auf den Strassen. Indect – die Abkürzung steht für «Intelligent Information System supporting Observation, Searching and Detection for Security of Citizens in Urban Environment». Kurz zusammengefasst: Dank Indect kann die Polizei in Zukunft alles sehen und alles mitverfolgen, was die private und öffentlichen Sicherheit bedroht oder in ein Verbrechen mündet.

«Bevölkerungsscanner»

Im Visier haben die Verantwortlichen verschiedenste Delikte. Dies reiche von Kinderpornografie, die sich via Internet ausbreitet, über menschlichen Organhandel bis hin zu Hooliganismus und Diebstahl. Um Straftaten zu verhindern, sollen alle verfügbaren Daten gesammelt, verbunden und «intelligent» ausgewertet werden. Ziel sei ein automatischer Bevölkerungsscanner für die Menschen im urbanen Raum, wie Zeit Online treffend konstatierte.

Kritiker wie der deutsche Journalist Florian Rötzer, der seit Jahren über das Indect-Projekt berichtet, sprechen von einem totalen Überwachungsprogramm. Dem pflichtet der deutsche Europa-Parlamentarier Alexander Alvaro bei. In einem Radiointerview wunderte er sich kürzlich, warum das Projekt noch immer nicht vom «Radar der Öffentlichkeit» erfasst wurde. Auch in den Schweizer Medien scheint die Thematik bislang nicht präsent zu sein. Eine Recherche im Schweizer Medienarchiv ergab keinen relevanten Treffer zum Projekt.
London gilt als Hauptstadt der Videoüberwachung. In Zukunft könnten die
Bürger noch viel stärker kontrolliert werden. 
Das europäische Parlament sei erst durch Bürgeranfragen darauf aufmerksam gemacht worden, sagt Alvaro. Europa werde benutzt, um «unter dem Deckmantel europäischer Forschung» Massnahmen einzuführen, die in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten nicht durchsetzbar gewesen wären. Im Interview mit 20 Minuten Online übt der deutsche Jurist mit portugiesischen Wurzeln heftige Kritik. Das Projekt sei völlig intransparent. Es werde auch nicht offengelegt, wie Überwachungs-Einsätze dereinst in der Praxis ablaufen.

Budget: 15 Millionen Euro

Das Projekt sieht vor, dass eine Ethikkommission die Forscher begleitet und sich mit den grundlegenden Fragen rund um die Grundrechte befasst. Als sich jedoch die kritischen Fragen zum Projekt häuften, habe die Kommission «gemauert», sagt Alvaro. Dies könne er nicht akzeptieren, schliesslich werde das Projekt mit Steuergeldern finanziert. Als nächstes wolle er sich nun bei den beteiligten Forschungsinstituten persönlich informieren. So werde er etwa bei der Bergischen Universität Wuppertal vorstellig, um sich ein genaues Bild zu machen.

An die 15 Millionen Euro hat die Europäische Union bereits für Indect gesprochen. Das 2009 lancierte Projekt ist auf fünf Jahre befristet. Während der Fussball-Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine soll das Überwachungssystem erstmals in der Praxis getestet werden. Dazu passt, dass die Projektkoordination in Warschau beheimatet ist.

20 Minuten Online hat den Kontakt zu den Projekt-Verantwortlichen gesucht. Eine entsprechende Interview-Anfrage blieb bislang unbeantwortet. Auf der Website wird betont, dass es sich um ein reines Forschungsprojekt handle. Im Rahmen der Forschungstätigkeit werde nur mit fiktiven Daten gearbeitet – es gebe keinerlei globales Monitoring. Wie die entwickelten Mittel schliesslich eingesetzt würden, entscheide dann die Polizei.

Europa-Parlamentarier Alvares hat kein Verständnis für die Haltung der Forscher. «Die Wissenschaftler machen es sich sehr einfach, wenn sie die Verantwortung abgeben, was später mit dem entwickelten Überwachungssystem geschieht.»

Was ist mit der Schweiz?

Tangiert das europäische Forschungsprojekt namens Indect auch die Schweiz? Gibt es eine Zusammenarbeit bei der Entwicklung des Überwachungssystems? 20 Minuten Online hat eine entsprechende Anfrage beim Bundesamt für Polizei (Fedpol) platziert. Die Antwort steht aus.

Aus dem Büro des eidgenössischen Datenschutz- und Informationsbeauftragten, Hanspeter Thür, heisst es, man sei in dieser Sache weder kontaktiert noch selbst aktiv worden. Da es sich um ein laufendes Forschungsprojekt der EU handle, sei eine Stellungnahme des Datenschützers zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich. Grundsätzlich werde die Entwicklung von Überwachungssystemen kritisch verfolgt, versichert eine Mediensprecherin. Der Schweizer Datenschützer sei auch auf internationaler Ebene gut vernetzt. Dank bestehender Zusammenarbeit mit europäischen Datenschützern werde man auf dem Laufenden gehalten.

Laut dem deutschen Europa-Parlamentarier Alexander Alvaro ist die Schweiz nicht in das Projekt involviert. «Sie sollten sich aber keine Illusionen machen», sagt der FDP-Politiker. «Wenn das Überwachungssystem erst einmal funktioniert, könnte dies ein schlechtes Vorbild für andere Staaten sein.»

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