Am
Donnerstag, den 27. Oktober 2011 um 4 Uhr früh haben die Machthaber der
Eurozone ein Abkommen zur Rettung des Euro abgeschlossen. Laut Jacques
Sapir sei jener Antikrisenplan jedoch der „denkbar schlechteste“, denn
er werde die Rezession nur noch verschärfen und Europa um seine
Unabhängigkeit bringen. Außerdem werde er für Griechenlands Rettung
nicht ausreichen.
Durch das am 27.10.2011 unterzeichnete Abkommen wird das Absterben
des Euro nur verlängert, denn es reguliert kein einziges der
strukturellen Probleme, die die Schuldenkrise ausgelöst haben. Zudem
bringt er Europas wirtschaftliche Unabhängigkeit und mittelfristige
Zukunft in große Gefahr. Tatsächlich ist dieses Abkommen das denkbar
schlechteste, ein Scheitern wäre besser.
Unsere Regierungen haben das europäische Wachstum und seine Unabhängigkeit dem Fetisch Euro geopfert.
Acht Maßnahmen
Sehen wir uns die verabschiedeten Maßnahmen an:
1. Die
Schulden wurden zum Teil gestrichen, dies gilt aber nur die von den
Banken erworbenen Wertpapiere. Mit anderen Worten: Nur 100 Milliarden
Euro wurden gestrichen (und nicht 180 Milliarden, die Hälfte der 360
Milliarden). Also nur 27,8 Prozent. In Wirklichkeit sieht es ganz anders
aus als in den Medienberichten. So werden Griechenlands Staatsschulden
auf 120 Prozent des BIP reduziert. Das ist zwar ein großer Fortschritt,
jedoch völlig unzureichend, wenn man das Land vom Drama befreien will,
in welches es gestürzt worden ist.
2. Der Stabilisierungsfonds wird in einem
„Versicherungsfonds“ umgewandelt, von den 440 Milliarden des
Rettungsschirms stehen aber derzeit nur 270 Milliarden „frei“. Da es
außerdem nötig ist, eine Reserve vorrätig zu halten, wird nur mit 200
Milliarden Euro, also 20 Prozent, der neu aufgenommenen Anleihen der
Länder gebürgt, die in Schwierigkeiten stecken, d. h. die gesamten
Anleihen belaufen sich auf 1.000 Milliarden Euro (200:0,2). Das ist
völlig unzureichend. Laut Barroso wären 2.200 Milliarden notwendig und
ich meinerseits hatte errechnet, dass allein Griechenland 1.750
Milliarden benötigt – vor Spaniens und Portugals Restrukturierung.
Insofernist das Abkommen also vollkommen unglaubwürdig.
3. Die Rekapitalisierung der Banken wird auf 110 Milliarden Euro geschätzt. Die Europäische Bankaufsichtsbehörde (EBA)
hat sie aber am 27.10.2011 auf 147 Milliarden Euro geschätzt (also 47
Mrd. mehr). Außerdem müssen die Reserven auf die Kreditgewährung von 7
Prozent auf 9 Prozent (core Tier 1 :Zahlungsfähigkeitsgrad einer
Bank) angehoben werden, und zwar bis Juni 2012. In Wirklichkeit werden
mindestens 200 Milliarden Euro nötig sein, wahrscheinlich mehr (260 Mrd.
scheint eine glaubwürdige Einschätzung zu sein). Die Folge davon wird
eine erhebliche Kreditbeschränkung (credit crunch) in Europa sein, die
die Rezession noch verschärfen wird. Zudem müssen die EU-Staaten schon
wieder in die Tasche greifen, weswegen Frankreich sein AAA einbüßen
wird!
4. Die Aufforderung an die
Schwellenländer (China, Brasilien, Russland), über Spezialfonds zum Plan
beizutragen, ist eine waghalsige Idee, denn sie bringt Europa um jeden
Handlungsspielraum gegenüber China und in geringerem Grad Brasilien. Es
ist begreiflich, dass für jene Länder ein starker Euro (1,40 USD oder
mehr) von Vorteil ist, für Europa aber nicht. Russland wird keinen
Finger rühren (oder nur zum Schein), wie ich es selber im vergangenen
September anlässlich eines Auftrags einer Mission bei der russischen Regierung feststellen durfte.
5. Als Berlusconi sich dazu verpflichtet hatte, Italien wieder in Ordnung zu bringen, tat er es nur pro forma
in Anbetracht der Unstimmigkeiten innerhalb der eigenen Regierung. Ohne
Wachstum (und der Sparplan, der von Berlusconi selber verabschiedet
wurde, verbietet es) wird Italiens Außenschuld weiter wachsen.
6. Von Spanien zu verlangen, dass
es sein Arbeitslosigkeitsproblem „löse“, ist im Kontext der Sparpläne,
die diesem Land auferlegt wurden, reiner Hohn.
7. Der IWF wird noch stärker
involviert, dass heißt, dass der Washingtoner Big Brother uns noch mehr
überwachen wird. Hiermit gibt Europa seine „Unabhängigkeit“ auf.
8. Die BZE wird dessen ungeachtet
weitere Schuldpapiere auf dem Sekundärmarkt kaufen, was die Spekulation
zwar limitieren, aber nicht verhindern wird.
Daraus sind folgende – miserable – Schlüsse zu ziehen:
Sarkozy: Europas kleiner „Père Courage“ startet seine Wahlkampagne
Sarkozy im Fernsehen: Staatsschuld! Staatsschuld! Staatsschuld!
Willkommen im „deutschen“ Europa!
In Anbetracht all dieser Tatsachen können schon einige Schlüsse gezogen werden:
- die Finanzmärkte werden nach
vorläufiger Euphorie (denn beinahe wäre alles gescheitert) sehr bald
begreifen, dass dieser Plan keine Lösung bringt. Nächste Woche wird also
schon wieder spekuliert, sobald die Finanzmärkte erkannt haben, wie
groß die Kluft zwischen den vorgeschlagenen und den eigentlich
notwendigen Maßnahmen ist.
- Die europäischen Länder haben sich
unter die Führung Deutschlands und wahrscheinlich unter Chinas
Vormundschaft gestellt. Eine zweifache Katastrophe, die den Euro
vermutlich zum Tode verurteilt. Indem Europa die einzige noch vorhandene
Lösung (eine globale Monetisierung der Staatschulden, entweder direkt
über die BZE oder durch die BZE und den Stabilisierungsfonds gemeinsam)
endgültig ausschließt, verurteilt sich die Eurozone mittelfristig selber
zum Tod. Da China um „Unterstützung“ gebeten wird, verbietet sich von
vornherein jede protektionistische Maßnahme (sogar Cohn-Bendit ist das
aufgefallen...) und die Eurozone wird zum reinen „Markt“ und immer
weniger zur Produktionszone. Damit wird jede Maßnahme zur Eindämmung der
Deindustrialisierung von vornherein ausgeschlossen.
- Mit diesem Abkommen wird die
Illusion, dass der Euro Europas Unabhängigkeit darstellte oder sie
irgendwie schützte, endgültig zerstört.
Aus diesen drei Gründen kann man annehmen, dass jenes Abkommen
schlimmer ist als ein klares Scheitern, denn dann hätte man
Verhandlungen über die Auflösung der Eurozone beginnen können. Zudem
hätte dieses Scheitern die Inkonsequenz der deutschen Stellung klar
aufgezeigt und den EU-Ländern und Europa Möglichkeiten für die Sicherung
der Unabhängigkeit aufgezeigt.
Dieses unvollständige Abkommen wird sich sehr negativ auswirken. Um
eine Verschnaufpause für nur wenige – vermutlich höchstens sechs –
Monate zu bekommen, werden die EU-Länder zu weiteren Sparmassnahmen
verurteilt. Diese werden die Eurozone zusammen mit dem „credit crunch“,
der Anfang 2012 erfolgen wird, in eine starke Rezession, ja vielleicht
ein Konjunkturtief stürzen. Das wird schon ab den ersten drei Monaten
des Jahres 2012 spürbar sein, und die französische Regierung muss dann
neue Sparmassnahmen treffen, was einen erheblichen Anstieg der
Arbeitslosigkeit verursachen wird. Es wird den FranzösInnen immer teurer
zu stehen kommen.
So wie es aussieht, wird dieses Abkommen Nicolas Sarkozy politisch
nicht glaubwürdiger machen – er beugte sich zuerst unter Deutschlands
Joch und wird sich später unter Chinas Joch beugen. Ein Thema, aus dem
Marine Le Pen ganz sicher großen Vorteil zu ziehen wissen wird. Wichtig
ist, dass sie nicht als Einzige davon profitiert.
Die einzig mögliche Lösung ist nun ein Ausstieg aus dem Euro, ganz gleich, ob vereinbart oder nicht.
http://www.tlaxcala-int.org
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