Der
ehemalige IWF-Chefökonom Kenneth Rogoff übt im F.A.Z.-Interview
scharfe Kritik an der EU-Rettungspolitik. Er fordert einen
Schuldenschnitt von 30 bis 40 Prozent für die Euro-Peripherie.
Einige Länder sollten für zehn Jahre aus dem Euro austreten.
Ein
Fachmann für Staatsverschuldung: Kenneth Rogoff
10.
Februar 2011
Kenneth
Rogoff kennt Schuldenkrisen wie nur wenige andere. Zusammen mit
Carmen Reinhart erregte er zuletzt Aufsehen mit einer umfassenden
Studie über historische Finanzkrisen. Neu daran ist, dass sie Daten
aus acht Jahrhunderten zusammengetragen und analysiert haben. Ein
Schluss daraus ist: Europas Finanz- und Bankenkrise ist nicht
außergewöhnlich. Rogoffs wissenschaftliche Arbeit geht weit über
die Schuldenforschung hinaus.
Der
57 Jahre alte Amerikaner ist auch ein ausgezeichneter Theoretiker der
Geldpolitik. Die Jury des Center for Financial Studies, die ihm den
„Deutsche Bank Prize in Financial Economics 2011“ verleiht, lobt
seine Beiträge zur internationalen Finanztheorie und Makroökonomik.
Der ehemalige Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds und
Schachgroßmeister lehrt und forscht an der
Harvard-Universität.
Professor Rogoff, Europas Antwort auf die Schuldenkrise ist: mehr Geld, um Regierungen vor den Kapitalmärkten abzuschirmen. Ist das vernünftig?
Professor Rogoff, Europas Antwort auf die Schuldenkrise ist: mehr Geld, um Regierungen vor den Kapitalmärkten abzuschirmen. Ist das vernünftig?
Nein.
Es muss einige Umschuldungen geben in den Peripherie-Staaten, von
privater Schuld und von öffentlicher Schuld. Eine Blankogarantie für
die Schulden ist einfach kein geeignetes System für eine Wirtschaft.
Es ist ein Trugschluss, dass Risiken und Kosten sich vermeiden
ließen, wenn man Geld borgt und es Griechenland gibt, damit es nicht
sofort zahlungsunfähig wird. Ein Problem zu verschleiern reduziert
die Risiken nicht, es macht sie nur größer. Ein Endspiel muss einen
Plan zur Umschuldung umfassen. Einige Schulden werden nicht
zurückgezahlt werden. Die Menschen, die Griechenland Geld liehen,
haben 2 bis 3 Prozentpunkte Zinsprämie dafür erhalten, dass sie
dieses Risiko eingingen.
Warum
erhöht Europas Blankogarantie die Risiken?
Zunächst
einmal ist das moralische Risiko absurd hoch, wenn man eine
Blankogarantie nicht nur für ein Jahr gibt, sondern für eine
Dekade. Das schafft nur Anreize für die Regierungen, noch mehr
Schulden aufzunehmen. Zweitens haben Deutschland, Frankreich und
Italien schon sehr hohe Schulden, nicht katastrophal hoch, aber sehr
hoch. Übernähme Deutschland die Schulden der Peripherie-Staaten,
könnte seine Schuld um 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen.
10 Prozentpunkte mehr Schulden sind in einem Land wie Deutschland,
das schon mehr als 70 Prozent Schulden hat, nicht unbedeutend.
Was
ist schlimm an hohen Schulden?
In
meiner Arbeit mit Carmen Reinhart haben wir uns die Schulden von
Dutzenden Staaten über mehrere Jahrhunderte angeschaut. Für
entwickelte Länder ist es überraschend selten, dass ihre Schulden
den Schwellenwert von 90 Prozent des BIP übersteigen, noch seltener
sind es mehr als 120 Prozent. Auch wenn unsere empirische Arbeit
keine Kausalität beweist, fanden wir heraus, dass hohe Schulden mit
erheblich niedrigeren Wachstumsraten einhergehen.
Warum
ist das Wachstum niedriger, wenn die Schulden hoch sind?
Unsere
Vermutung ist, dass mit steigenden Schulden von einem bestimmten
Punkt an das Risiko immer größer wird, dass die Märkte höhere
Zinssätze verlangen. Kommt dann endlich der Tag, an dem ein Land
höheren Zinsen gegenübersteht, wird es fast sicher Steuern erhöhen
und Ausgaben senken müssen. Es ist diese fiskalische Anpassung, die
letztlich das Wachstum senkt. An einem Punkt muss man den Gürtel
enger schnallen. Das ist wohl der Grund, weshalb man historisch so
selten so hohe Schuldenstände sieht.
Wie
sollte eine Umschuldung in Europa aussehen?
Europa
braucht einen umfassenden Plan, welche Schulden wie umstrukturiert
werden und welche unberührt bleiben. Das wird nicht schön werden,
Europa wird in eine Einheitslösung hineingezwungen werden. Der
Brady-Plan für Lateinamerika in den achtziger Jahren hatte einen
ziemlich einheitlichen Schuldenschnitt. Solch ein Modell ist für
Europa plausibel, vielleicht etwas differenzierter. Ich stelle mir
einen Schuldenschnitt von 30 bis 40 Prozent vor, obwohl das gerade
für Griechenland nicht reichen könnte. Danach müssen die
Steuerzahler in Deutschland und Frankreich im Grunde alles andere
auffangen. Das ist offensichtlich: Wenn man die verbleibenden
Schulden nicht garantiert, gäbe es eine Panik.
Europas
Regierungen fürchten, dass eine Umschuldung ihre Banken träfe.
Natürlich
müsste Europa einige seiner Banken herauspauken, wenn die
Staatsschuld umstrukturiert wird. Es ist eine offene Frage, für wie
viel. Die lächerlichen Stresstests im Juni 2010 haben da nur wenig
Aufklärung gebracht. In einigen Fällen werden die Regierungen bis
zu 100 Prozent der Anteile übernehmen und später verkaufen müssen.
Manche der Zahlen, die als Belastung der Banken für den Fall
staatlicher Zahlungsunfähigkeit genannt werden, sind aber überzogen.
Regierungen werden nicht zu 100 Prozent zahlungsunfähig, wir
sprechen über wahrscheinlich 30 bis 50 Prozent.
Europa
will die vom Kapitalmarkt abgeschirmten Regierungen zu einer besseren
Wirtschafts-, Fiskal- und Sozialpolitik zwingen.
Eine
gute Idee, aber ein politisches System kann nur ein bestimmtes Ausmaß
an Austerität für eine bestimmte Zeit aushalten. Man kann von
Ländern verlangen, für ein Jahr in eine Rezession zu gehen,
vielleicht sogar für zwei Jahre. Die Peripherie-Länder aber gingen
für vier oder fünf Jahre in die Rezession, unternähmen sie die
diskutierten Fiskalanpassungen. Das ist nicht sonderlich glaubwürdig.
Mit Sicherheit wird eine Umschuldung für Griechenland, Irland und
Portugal schmerzhaft, aber wohl weit weniger schmerzhaft und
erheblich kürzer als die Sparprogramme der Einschränkung, die
erwogen werden. Auch wenn sie zeitweise vom Kapitalmarkt
ausgeschlossen würden, wird das nicht vier oder fünf Jahre
andauern. Schauen Sie nur auf Argentiniens Rückkehr an den Markt,
und dieser Fall ist kaum einzigartig.
Wäre
eine staatliche Umschuldung das Ende des Euro?
Nein,
natürlich nicht. Es wäre aber sinnvoll, einige Länder zu einer
Euro-Auszeit zu ermuntern. Sie würden den Euro-Raum verlassen mit
einem genau definierten Weg zum Wiedereintritt, vielleicht in zehn
oder fünfzehn Jahren. Offen gesagt sehe ich keinen anderen Weg, wie
man in Ländern wie Griechenland oder Portugal sonst die
Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen kann. Ja, auch so würden alle
Löhne sinken und die Staatsschuld stiege relativ zum Einkommen. Es
gibt keinen einfachen Ausweg. Europa kann nur Zeit kaufen. In meiner
Arbeit mit Reinhart zeigen wir, dass es eine große Zahl von Ländern
gibt, in denen der Internationale Währungsfonds (IWF) einen Kredit
gab, vielleicht noch einen, und es am Ende doch zur Umschuldung kam.
Es sieht so aus, als ob Europa sich auf diesem Weg befindet.
Erwarten
Sie in den Vereinigten Staaten eine Schuldenkrise wie in Europa?
Die
Schulden von Kalifornien und anderer Staaten sind, gemessen am
Einkommen, relativ klein. Das große Problem der Staaten sind die
Pensionen für ihre Angestellten, die riesig und kläglich
unterfinanziert sind. Manche Staaten sehen sehr wie Griechenland aus,
Illinois etwa. Aber insgesamt ist das Problem in den Vereinigten
Staaten gerade das Gegenteil des europäischen. In Europa ist das
Zentrum solide und die Peripherie steht vor dem Bankrott. In den
Vereinigten Staaten hat die Zentrale eine untragbare
Schuldenentwicklung. Leider kann kein Politiker mehr Steuererhöhungen
und Ausgabenkürzungen vorschlagen und im Amt bleiben, seit Ronald
Reagan die Menschen einer Gehirnwäsche unterzog und sie an ein
„Perpetuum Mobile“ glauben.
Gibt
es in Amerika genügend politische Bemühung, um die Schulden
anzugehen?
Mit
Sicherheit nicht. Sobald es ein Problem gibt, glauben Amerikas
Wähler, dass Steuern gesenkt oder Ausgaben erhöht werden müssen,
oder beides. Das ist das Gegenteil vom deutschen Wähler. Ich hoffe,
dass nach 2012, falls Präsident Obama wiedergewählt wird, er das
Problem angeht - aber erwarten Sie nicht zu viel.
Die
Zentralbank Federal Reserve wurde scharf kritisiert für die zweite
quantitative Lockerung (QE2) und den Ankauf von 600 Milliarden Dollar
Staatsanleihen. Teilen Sie diese Kritik?
Nein.
Ich denke, die Fed hat das Richtige gemacht. Aber es gibt ein Risiko,
dass es schrecklich endet. QE2 bedeutet eine Ausweitung der Geldmenge
in sechs Monaten um 60 Prozent, das ist ein außergewöhnliches
Experiment und eine im Kern unerprobte Politik. Ich lehre diese Idee
der quantitativen Lockerung seit 15 Jahren. Unglücklicherweise sind
ökonomische Modelle nicht perfekt. Es ist damit nicht völlig
unangemessen, dass der deutsche Finanzminister und seine Kollegen auf
der Welt sich beschweren und sagen: „Wir haben euch zum Zentrum des
Weltwährungssystems gemacht, wir möchten nicht, dass ihr es in die
Luft jagt. Wir möchten gefragt werden, wenn ihr solch ein Risiko
eingeht.“ Das ist ein berechtigter Punkt. Die Vereinigten Staaten
sagen, das ist unsere Politik, warum sollen wir euch fragen. Das
stimmt natürlich nicht ganz. Der Dollar ist die Weltreservewährung
und die ganze Welt ist um ihn herumgebaut.
Sind
die heutigen Zinssätze zu niedrig, blasen wir neue Blasen auf?
Wir
haben derzeit zu niedrige Zinssätze, da gibt es keinen Zweifel. Die
niedrigen Zinsen übertragen sich noch nicht in Inflation, weil das
Finanzsystem paralysiert ist. Aber gerade in den Ländern, die zuvor
keine große Immobilienblase hatten, entwickelt sich nun eine.
Die
Fragen stellte Patrick Welter.
Fachmann
für Staatsverschuldung
Kenneth
Rogoff kennt Schuldenkrisen wie nur wenige andere. Zusammen mit
Carmen Reinhart erregte er zuletzt Aufsehen mit einer umfassenden
Studie über historische Finanzkrisen. Neu daran ist, dass sie Daten
aus acht Jahrhunderten zusammengetragen und analysiert haben. Ein
Schluss daraus ist: Europas Finanz- und Bankenkrise ist nicht
außergewöhnlich. Rogoffs wissenschaftliche Arbeit geht weit über
die Schuldenforschung hinaus. Der 57 Jahre Amerikaner ist auch ein
ausgezeichneter Theoretiker der Geldpolitik. Die Jury des Center for
Financial Studies, die ihm den „Deutsche Bank Prize in Financial
Economics 2011“ verleiht, lobt seine Beiträge zur internationalen
Finanztheorie und Makroökonomik. Der ehemalige Chefvolkswirt des
Internationalen Währungsfonds und Schach-Großmeister lehrt und
forscht an der Harvard-Universität. (pwe.)
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