Lieber Herr Berset, pardon, aber ich glaube Ihnen kein Wort
Er habe der Wissenschaft zu sehr vertraut, sagt Bundesrat Alain Berset vor laufender Kamera. Einiges würde er heute anders machen in die Coronasituation. Nach fast eineinhalb Jahren kann man getrost davon ausgehen, dass das nur ein weiterer Schachzug ist. Ein offener Brief.
Lieber Herr Bundesrat Berset
Die Menschen mögen es, wenn jemand Fehler eingesteht. Vor allem, wenn es Politiker sind. Das vermittelt Menschlichkeit, Ehrlichkeit, Authentizität. Sie haben das beim Schweizer Fernsehen gemacht. Sie hätten « die Wissenschaft zu wenig hinterfragt», haben Sie in der Gesprächssendung «Gredig direkt» offenbart. Und damit eingeräumt, nicht alles ideal gemacht zu haben rund um Corona. Die Sendung kann hier nachgeschaut werden.
Mit Verlaub: Ich glaube Ihnen kein Wort, das Sie in dieser Sendung deponiert haben. Ich glaube nicht daran, dass es ein ehrliches Bekenntnis war. Ich lasse die letzten fast eineinhalb Jahre Revue passieren, denke an den Abstimmungssonntag vom 13. Juni und komme zum Schluss: Die Achse aus Regierung und Staatsfernsehen läuft wie geschmiert. Dieses Interview war ein weiterer Schachzug in der Scharade, mit der Sie das Volk zum Narren halten.
Nichts ist zufällig passiert in dieser Zeit. Jedem Zug folgte der nächste, und er hat uns zu dem geführt, was jetzt Tatsache ist: Wir stehen vor der Spaltung der Gesellschaft durch die Einführung eines «Zertifikats», das das Land in Gut und Böse einteilt und entscheidet, wer noch aktiv am Leben teilhaben darf oder nicht. Was Sie auslösen, erinnert an die dunkelsten Momente der Geschichte, und selbst wenn nun viele aufschreien, dieser Vergleich sei unhaltbar: Er ist es nicht. Eines Tages, und dieser Tag ist nicht weit entfernt, werden Ungeimpfte einen eigenen Bereich im Bus benützen und eigene Kinovorstellungen besuchen müssen. Das ist leider Gottes keine Verschwörungstheorie, sondern die konsequente Weiterentwicklung dessen, was Sie mit Ihren Kolleginnen und Kollegen angestossen haben. Sie wünschen sich das ja. Ganz ausgesprochen. Ihr Ampelsystem? Ich bitte Sie. Sie wissen so gut wie ich, dass die Betriebe, welche die Wahl haben, einen harten Kurs in Ihrem Sinn fahren werden. Die meisten Beizen, Kinos und so weiter werden ein Zertifikat voraussetzen – um auf der sicheren Seite zu sein. Ihre Ampel hat nur zwei Farben: Rot und Grün.
Man muss schon sehr naiv sein, um zu glauben, dass Sie vor den Kameras von SRF Ihr Herz ehrlich ausgeschüttet haben. Heerscharen von Kommunikationsexperten beraten Sie vor jedem nächsten Schritt. Nichts ist ungeplant. Wir Schweizerinnen und Schweizer wissen das. Wir sind nicht dumm. Auch wenn wir nicht im Bundesrat sitzen. Und Leute, die nicht dumm sind, hassen etwas mehr als alles andere: Für dumm verkauft zu werden.
Sie wissen, dass der 13. Juni für Sie zwar aktuell noch gut aussieht, aber einige Unwägbarkeiten enthält. Das Covid-Gesetz ist eine reine Ungeheuerlichkeit. Sie wollen einen Persilschein für Ihre evidenzlose Politik. Aber es kann schiefgehen. Gibt es doch noch einen Ruck durch die Bevölkerung? Überwindet sich die schweigende Mehrheit wenigstens, auf dem Abstimmungszettel zu sagen, was sie eigentlich nicht will? Wird das, was Sie gerne hätten, die ultimative Kontrolle auf unbestimmte Zeit, im letzten Moment durchkreuzt von einer Bewegung, die Sie noch nicht wahrnehmen?
Das ist ein Risiko. Und Risiken begegnet man am besten mit einem Zug, den niemand erwartet hat. Mit einem Überraschungseffekt. Das war der Sinn dieses TV-Interviews.
Aber beim genaueren Hinschauen: Was haben Sie denn eigentlich gesagt in «Gredig direkt», der Sendung mit dem Fragesteller, der im früheren Leben vermutlich Mediator oder Pfarrer war und kritisches Nachhaken vermeidet wie der Teufel das Weihwasser? Ja, Sie haben davon gesprochen, der Wissenschaft zu sehr vertraut zu haben, und das ist ein knackiger Satz, deshalb bildet er auch in den meisten Beiträgen den Titel. Aber an welchem Beispiel machen Sie das fest? Sie bedauern, in einer ersten Phase den Aussagen über die Untauglichkeit der Maske geglaubt zu haben. Statt dass Sie beispielsweise zugeben, dass Sie einer Task Force aus bisher sträflich vernachlässigten Wissenschaftern, die ihre Sucht nach der Kamera entdeckt haben, auf den Leim gegangen sind. Dass Sie monatelang Massnahmen verordnet haben, die purer Hysterie entsprungen sind. Dass es zu keinem Zeitpunkt Zahlenmaterial gab, das Anlass gab zu dem, was Sie uns aufgezwungen haben.
Im Grunde haben Sie gar nichts Relevantes zugegeben. Aber für die breite Masse scheint es zu reichen.
Was Sie getan haben, war pure Strategie. Einen Schuss Weichheit zeigen drei Wochen, bevor es ernst wird. Einräumen, dass nicht alles ideal war, aber Sie doch nur das Beste wollten. Damit holen Sie noch einige Unentschlossene, die nun finden: Ja, dieser Bundesrat Berset hat Grösse, der sagt, was falsch gelaufen ist, und das ist ein Grund, ihm nun erst recht zu glauben. Er wird schon das Richtige wollen!
Chapeau, Monsieur Berset. Beziehungsweise: Chapeau an Ihre Berater, die instinktsicher gespürt haben, dass die Sache kein Selbstläufer ist. Und in SRF haben Sie natürlich einen willfährigen Partner, der jedes Spiel mitmacht. Und einen Moderator, der Sie einfach ein bisschen reden lässt und Ihnen kein einziges Mal weh tun will. Ich will gar nicht darüber nachdenken, dass ich das via Gebühren mitfinanziere. Ich bezahle, damit ich angelogen werde.
Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um Farbe zu bekennen. Als Clubmitglied bei uns.
Nein, Alain Berset, entgegen vielen anderen Leuten halte ich Sie weder für die Inkarnation von Satan noch für ein führendes Mitglied einer neuen Weltordnung. Das wäre zu viel der Ehre. Ich halte Sie nur für einen hemmungslos überforderten Magistraten, der sich völlig in die Irre führen liess und nicht mehr aus der Spirale rausfindet. Der immer noch einen drauf setzen muss, weil er sonst zugeben müsste, dass er völlig blind gehandelt und unser Land auf Generationen hinaus geschädigt hat.
Und dieses Gespräch war der durchsichtige Versuch, bei unbedarften TV-Zuschauern zu punkten. Nichts hat sich geändert gegenüber früher. Nach wie vor stehen Sie für eine Politik der Unverhältnismässigkeit, nach wie vor treiben Sie die Spaltung der Gesellschaft voran in der Mission des Schutzes vor einem Virus, das 99 Prozent von uns nicht nennenswert tangiert. Nach wie vor schädigen Sie die Wirtschaft, die Psyche der Menschen, die Zukunft unserer Kinder. Nichts von all dem steckte in Ihrem «angeblichen» Bekenntnis. Sie haben im Grunde gar nichts gesagt. Aber wie gesagt: Einige Leute dürfte es beeindrucken. Meine Steuergelder für die unzähligen PR-Leute in der Bundesverwaltung waren offenbar gut angelegt, die verstehen ihren Job.
Eigentlich war es eine ziemlich peinliche halbe Stunde. Für SRF und Urs Gredig. Für Sie. Und für alle, die gebannt zuschauten und Ihnen die Masche abgenommen haben.
Aber dem Bundesrat ist bekanntlich seit bald eineinhalb Jahren nichts mehr peinlich. Er kann Intensivbetten abbauen und danach jammern, die Intensivstationen seien überlastet. Er kann eine völlig wirkungslose Reisequarantäne verordnen. Er kann zusehen, wie die Städte ihre Polizei-Rambos gegen unbescholtene, aber kritische Menschen aufstellen. In die Geschichte eingehen werden Sie nicht für Ihr «Bekenntnis» vom Donnerstag. Sondern als der Mann, der seine offenbar ebenfalls überforderten Bundesratskollegen viele Monate lang dazu angetrieben hat, eine im besten Fall völlig durchschnittliche Gefährdung zum Umbau des Landes zu nutzen.
Und vielleicht sind Sie damit ja erfolgreich. Vielleicht erhalten Sie am 13. Juni 2021 ja die «carte blanche», damit weiterzumachen. Weil eine Mehrheit der orchestrierten Panikkampagne verfallen ist oder sich schlicht nicht dafür interessiert, was mit diesem Land passiert. Dann gilt wieder: Chapeau, Monsieur Berset. Eine generalstabsmässige Planung war erfolgreich. Und die Schweiz wird nicht mehr sein, was sie war.
Mein kleiner Trost ist nur: Ich werde davon nichts mitkriegen. Die Schweiz war ein grossartiger Ort für die ersten 49 Jahre. Aber die Welt ist gross.
Cordialement,
Stefan Millius
Quelle: https://www.dieostschweiz.ch/
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