Gott existiert. 80 Prozent der israelischen Juden können nicht Unrecht haben. Und genau aus diesem Grund müssen wir sagen: Gott schütze uns vor den Ergebnissen der Umfrage (ausgeführt vom Guttman-Zentrum für Umfragen des israelischen Demokratie-Instituts und der Avi Chai-Stiftung).
Zwar ist es denkbar, sich mit diesem brennenden, umfassenden
Glauben an das Göttliche zu befassen, doch was machen wir mit dem „Du
erwählst uns“? 70 Prozent der Antwortenden gaben auch an, sie glaubten,
die Juden seien das auserwählte Volk – und dieses erschreckende
Parameter ist erst im Kommen.
Die Meinungsforscher lassen die Katze aus dem Sack. Um einen Slogan
von 1990 zu umschreiben –Israel ist nicht das, was man dachte. Nicht
was die Welt dachte, nicht was die Israelis selbst glauben zu denken.
Israels Gesellschaft ist nicht säkular, sie ist nicht liberal und ist
nicht aufgeklärt. Wäre es ihr erlaubt, frei zu antworten, ist es
zweifelhaft, ob 80 Prozent der Iraner sagen würden, dass sie an Gott
glauben; es ist zweifelhaft, dass es noch eine andere freie Nation auf
dem Planeten gibt – außer den US-Amerikanern, die dieselben Ergebnisse
liefern würde. Aber sicher gibt es keine andere Nation auf dem Planeten,
die sich so sicher in ihrer arroganten Sicherheit ist: Dass sie aus
allen anderen Völker auserwählt und über alle anderen erhoben wurde.
Die Ergebnisse dieser Umfrage sind der wichtigste Schlüssel zum
Verständnis der israelischen Gesellschaft und die Haltung ihrer
Regierungen. Es ist das einzige Prisma, durch das es möglich ist, die
Besatzung, den Rassismus, die Judaisierung durch die Haredim und die
Kapitulation gegenüber den Siedlern zu verstehen. Tief in unserm Inneren
denken wir: das ist unser Schicksal. Auch wenn in jeder
fortschrittlichen Gesellschaft die Siedler und die Ultra-Orthodoxen als
marginale, exzentrische, messianische Gruppen behandelt werden – so
kommt die Haltung ihnen gegenüber aus einer sehr tiefen Mitte innerhalb
der säkularen israelischen Gesellschaft. Wenn in einer fortschrittlichen
Gesellschaft die Besatzung Protest und Abscheu hervorruft, gründet sich
die Haltung hier auf einen religiösen Glauben, der alle ihre
Ungeheuerlichkeiten rechtfertigt.
Die Untersuchung beweist, dass wir alle zur „Hügeljugend“ gehören
und dass die meisten von uns Sikarer sind. Rassistische Ausdrücke
gegenüber den Arabern und Ausländern, Israels arrogante Haltung
gegenüber der internationalen Meinung – auch dies kann mit dem
unbedarften, urzeitlichen Glauben der Mehrheit der Israelis (70 Prozent)
erklärt werden, dass uns alles erlaubt ist, weil ER uns auserwählt hat.
Selbst der religiöse Charakter des Staates, der viel weniger säkular
ist, als wir denken – keine Busse oder El Al-Flüge während des Shabbat,
keine zivile Ehe, nur koschere Hotels, eine Mesusa am Türpfosten fast
jeder Wohnung und eine wachsende Anzahl von Leuten, die sie jedes Mal
küssen, wenn sie hineingehen oder herauskommen. All dies kann durch die
Daten der Untersuchung erklärt werden.
Es gibt viel weniger religiösen Zwang, als es scheint, viel mehr
freiwillige Zuneigung zu den Launen des jüdischen Fundamentalismus. Ab
jetzt kann nicht länger behauptet werden, dass die säkulare Mehrheit
sich der religiösen Minderheit gefügt hat. Es gibt keine säkulare
Mehrheit, nur eine unwesentliche Minderheit.
Im Gegensatz zu den meisten modernen europäischen Staaten ist
„Atheist“ in Israel ein abwertender Begriff, den kaum jemand zu sagen
wagt, geschweige denn sich damit identifiziert. In solch einem Land ist
es unmöglich, ernsthaft über Säkularismus zu sprechen. Wir sollten die
Wahrheit zugeben: Dass wir eine quasi-religiöse Gesellschaft sind und
einen Staat haben, der quasi auf religiösem Recht basiert. Es ist nicht
nötig, die Menschen zu zählen, die Kippot, Kopftücher oder Schtreimels
tragen; Menschen ohne Kopfbedeckung sind im selben Lager: Sie
akzeptieren den Charakter ihres Staats, in dem die Religion der Staat
ist und der Staat die Religion, in dem alles vermischt ist. Es ist nicht
nötig, ständig von religiösem Extremismus schockiert zu sein – religiös
zu sein, ob in moderater oder extremer Weise, ist das Gleiche, und das
gilt hier für die Mehrheit.
Wir sind in der Westbank, von Jenin bis Hebron, vor allem deshalb,
weil die Mehrheit der Israelis glaubt, das dies nicht nur das Land der
Patriarchen ist, sondern dass diese Tatsache uns auch ein väterliches
Recht zu Souveränität, Grausamkeit, Missbrauch und Besetzung gibt – zum
Teufel mit der Position der internationalen Gemeinschaft und den
Grundsätzen des Völkerrechts, denn wir wurden schließlich unter allen
Völkern auserwählt. Diese Haredim, von Bnei Brak bis Mea Shea’arim sind
größtenteils wir, nur mit anderer Kleidung und Sprachen – extremere
Versionen des selben Glaubens.
Vielleicht war es unvermeidlich. Ein Staat, der auf einem gewissen
Territorium entstanden ist und ein anderes Territorium erobert hat und
dort seit einer fast ewigen Zeit ist, und all dies auf der Grundlage von
biblischen Geschichten; eine Bevölkerung, die nie entschieden hat, ob
sie eine Nation oder eine Religion ist; und ein Staat, der vorgibt, ein
„jüdischer Staat“ zu sein, auch wenn keiner eine Ahnung hat, was das
bedeutet. All dies kann ohne Grundlage nicht existieren – ein
auserwähltes Volk, das an seinen Gott glaubt. Das ist Israel, ungefähr
anno 2012. Gnade mit uns Gott.
Danke Tlaxcala
Quelle: http://www.haaretz.com/print-edition/opinion/god-rules-all-in-2012-israel-even-the-state-1.409739
Erscheinungsdatum des Originalartikels: 29/01/2012
Artikel in Tlaxcala veröffentlicht: http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=6939
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen