Sonntag, 6. November 2011

Die Entdemokratisierung Europas – Ein Klartext-Kommentar

Was sich aktuell vor unseren Augen abspielt, ist eigentlich nur noch mit Galgenhumor zu ertragen. Da kommt ein amtierender Ministerpräsident eines ehemals souveränen Staates auf die Idee, die urdemokratischste Form der Entscheidungsfindung, die Volksbefragung, durchführen zu wollen, um sicher zu sein, dass das gewählte Joch auch vom Volk mehrheitlich akzeptiert wird und was passiert? Er wird von Merkozy und Co. zurückgepfiffen. Was sich hinter den Kulissen des zurückliegenden G20-Gipfels abgespielt hat, muss extrem interessant gewesen sein. Nur zur Übersicht hier noch einmal die Ereignisse der letzten Tage:



In der vergangenen Woche ringen sich die europäischen Staatenlenker nach stundenlangen Verhandlungen und sichtlich ermüdet doch noch zu einem Stützungspaket für Griechenland durch. Auch auf den anderen Kontinenten unseres geliebten Planeten dürften sich die Staats- und Regierungschefs nach Verkündung der Beschlüsse eine neue Unterhose gegönnt haben. Wenn schon nicht nach Kot, so roch der Kompromiss doch nach faulen Eiern, die der EU-Hühnerstall gelegt zu haben schien. Allein der postulierte freiwillige Verzicht in Höhe von 50 Prozent der Forderungen seitens der Banken dürfte dem interessierten Beobachter des politischen Kabaretts, welches uns momentan dargeboten wird, die Lachtränen in die Augen getrieben haben. Banken verzichten freiwillig auf etwas? Nun, es handelt sich hier wohl um eine alternativlose Freiwilligkeit, wodurch das freiwillige Moment an den Rand gedrängt wird. Natürlich sprangen die ach so objektiven Ratingagenturen - hilfsbereit, wie sie eben so sind - dem deutsch-französischen Tandem zur Seite und akzeptierten, dass sich die Großbanken freiwillig einen neuen Haarschnitt (engl. haircut) zulegten.

Papandreou seinerseits wagte etwas, was sich in unseren Scheindemokratien wohl nur wenige Politiker zu wagen getrauten: Er wollte doch tatsächlich das Volk befragen. Das Gackern im EU-Hühnerstall ob dieser demokratischen Unmöglichkeit hörte man selbst in Washington, Obama stimmte sogar noch ein in die Kakophonie der Ungläubigkeit und des blanken Entsetzens. Aber keine Panik: Papandreou wurden ja bereits die Daumenschrauben angelegt. Die Volksabstimmung über die "Hilfs- und Rettungs"-Pakete würden zu lange dauern, bis dahin sei sein Land pleite. Papandreou, ganz Verwalter eines europäischen Protektorats, knickte schließlich am Donnerstag ein. Statt einer Volksabstimmung solle eine "Regierung der nationalen Einheit" Griechenland aus dem Schlamassel ziehen.

Moment, diesen Begriff hatten wir doch schon jüngst bei den arabischen Revolutionen gehört. Eine Regierung der nationalen Einheit wird gerne dann geschmiedet, wenn sich die Polit-Granden ganz bewusst dazu entschließen, Politik gegen das eigene Volk zu machen. So geschehen zum Beispiel in Deutschland, bei der Verabschiedung der Agenda 2010. Auch dort benötigte die SPD die Stimmen der CDU im Bundesrat, und da beide Parteien so asozial wie sonst nur die Grünen sind, einigte man sich schnell auf den Ausverkauf des bundesdeutschen Sozialstaats.
Zurück zu Griechenland: Papandreou hat am späten Freitagabend die Vertrauensabstimmung im griechischen Parlament gewonnen. Er wird am Samstag zusammen mit dem griechischen Staatspräsidenten die Lage im Land erörtern und versuchen, möglichst viele im Parlament vertretene Parteien hinter die Linie seiner Pasok-Partei zu vereinen. Papandreou dürfte im Gegenzug dafür, dass seine Partei weiter im Polittheater mitmischen darf, zumindest vom Posten des Ministerpräsidenten zurücktreten, ein Versorgungsposten fällt für ihn natürlich dennoch ab. Die Beschlüsse des letzten EU-Gipfels werden ohne viel Murren umgesetzt, Griechenland wird einen Teil seiner Schulden los und der Euro ist gerettet. Soweit das Wunschdenken der Politik.

Die Realität sieht - wie so oft - anders aus, als es sich die Politiker auf ihren belanglosen "Gipfeltreffen" ausmalen. Nachdem der Präzedenzfall einer Umschuldung nun geschaffen ist, werden bereits jetzt zaghaft erste Begehrlichkeiten der anderen hochverschuldeten Länder laut. Irland hat schon angedeutet, auch einen Schuldenerlass erhalten zu wollen. Nun stellt sich ja die Frage, wer den Banken ihre Verluste bezahlt, die sie durch etwaige weitere Umschuldungen einfahren werden. Da sie systemrelevant sind und unter allen Umständen gerettet werden müssen, weil sonst unser geliebter Finanzmarktkapitalismus den Bach runtergeht und mit ihm die Eliten der Finanzoligarchie, ist eine Rettung zwingend notwendig.

Frankreich dürfte spätestens im Frühjahr 2012 als Zahlerstaat mit der Topbonität AAA ausfallen, da Sarkozy, in ähnlicher Manier wie der italienische Lustmolch, nicht Willens ist, zu sparen und den sprichwörtlichen Gürtel enger zu schnallen. Immerhin stehen ja Wahlen vor der Tür. Der vielbeschworene Stabilitätsanker Europas, Deutschland, darf zusammen mit den verbliebenen AAA-Ländern die Suppe des Kreditexzesses auslöffeln. So lange, bis auch diese Länder als Zahlerstaaten ausfallen.

Währenddessen vermelden die Propagandamedien landauf landab den erfolgreichen Abschluss des G20-Gipfels und schwadronieren von unserer Bundeskanzlerin als Merkules. Dass die "etablierten" bzw. bezahlten Medien und ihre Huren nichts weiter tun, als ein Grundschüler bei einem Diktat, ist keine Neuigkeit. Lediglich die andauernde Blödheit der Völker ist erschreckend. Groß-Banken und deren "Geschäfte" werden sicherer gemacht, der Steuerzahler soll nicht mehr für die Verluste dieser Geldinstitute geradestehen. Die Wachkoma-Patienten vor dem Fernseher nicken sich zufrieden an und denken sich "Na bitte!"

Und wenn sie dann noch hören, dass diese ominösen Spekulationsgeschäfte eingedämmt werden, können sie sich ein gepflegtes Nickerchen gönnen. Die "Ergebnisse" des G20-Gipfels sind indes natürlich bloße Makulatur. Anhand der spanischen Schuldenbremse, die bereits in neun Jahren eingeführt werden soll und wofür sich vermeintliche Diener des Volkes noch immer auf die Schulter klopfen, wird ersichtlich, was von diesen Gipfel-Beschlüssen zu halten ist. Diese sollen nämlich schon 2016 in die Realität umgesetzt werden und wurden somit so weit in die Zukunft verlegt, dass sich, wenn es dann irgendwann einmal so weit sein sollte, keiner mehr an diese Vereinbarungen wird erinnern können. Auch hier drängt sich eine Frage auf: Wenn es beim Retten von Banken, Ländern und den ekelhaften Finanzoligarchen nicht schnell genug gehen kann, wenn hunderte Milliarden Euro innerhalb von Tagen oder höchstens Wochen zugesichert und garantiert werden müssen, warum dauert es dann so viele Jahre, bis demokratische und marktwirtschaftliche Selbstverständlichkeiten, wie etwa, dass eine Bank für ihre Verluste selbst verantwortlich ist, durchgesetzt werden?

Die Antwort auf diese Frage lautet unweigerlich, dass wir uns nicht mehr in einer Demokratie befinden. Wer Volksentscheide ablehnt, weil das Volk in seiner Gesamtheit zu dumm ist, wer sich von Bankiers vor den Wagen spannen lässt, um sich um einen Brotkrumen der Finanzmärkte zu balgen, der ist kein Politiker in einem demokratischen Staat. Wenn uns die letzten Wochen also etwas gelehrt haben, dann dies, dass wir im besten Fall von Deppen regiert werden, die sich nicht auf die Farbe von Scheiße einigen können, im schlechtesten Fall, dass wir von notorischen Lügnern und Betrügern regiert werden, deren oberstes Ziel es ist, mit dem eigenen Hintern an die Wand zu kommen.

Wie dem auch sei, die griechische Tragödie wird seit Wochen schon dazu missbraucht, von den wahren Problemen abzulenken, die weder in Italien, noch in Frankreich liegen. Sie liegen an der New Yorker und Londoner Börse, sie liegen darin, dass das angloamerikanische Finanzsystem nur noch durch Marktmanipulationen am Leben erhalten werden kann, weil die USA und Großbritannien bis über beide Ohren verschuldet sind und Millionen Menschen in beiden Ländern in Armut leben müssen. Warum seitens dieser beiden Länder mit dem Finger immer wieder auf Europa gezeigt wird und ein "Guckt mal, da ganz unten im klitzekleinen Griechenland, da ist doch wohl glasklar Rauch zu erkennen. Ganz klar, da brennt es!" ausgestoßen wird, während das eigene Land vor die Hunde geht und sich das Feuer der Revolution durch die Landstriche frisst, bedarf keiner Erörterung.
Die Angst der Regierenden vor den Regierten ist ein Wesensmerkmal der Demokratie. Dort, wo keine Angst oder wenigstens Respekt vor dem Volke herrscht, kann keine Demokratie sein...


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