Samstag, 17. Januar 2015

»Das finde ich furchtbar«: ARD kapituliert vor der Kritik eines Zuschauer-Vereins

ARD und ZDF bejubeln ihre Berichterstattung im Ukraine-Konflikt. Die Zuschauer finden das traurig, denn sie ist voller Fehler. Bisher war das den Journalisten egal, jetzt zittern sie vor einem Verein. Der nutzt die Gesetze und schickt pausenlos Beschwerden. Jede muss beantwortet werden, was zu Flüchen, Tränen und Trotz in den Rundfunkanstalten führt. Sie können ihre Fehler nämlich nicht erklären.



»ARD und ZDF – da fühl ich mich manipuliert.« So denken immer mehr Zuschauer, nachdem sie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk »zwangsgenossen« haben. Wer glaubt denn auch noch Journalisten, die Panzer durch die Ukraine rollen lassen, nur um eine Fantasie-Schlagzeile »Russland auf dem Vormarsch?« dichten zu können? Die Panzer gab es nie. Es waren sechs Jahre alte Archivbilder aus dem Kaukasus.

Haarsträubende Manipulationen wie diese werden im Internet genüsslich seziert. Ganze Webseiten sind darauf spezialisiert. Das Material dafür stapelt sich, weil die »Informationsprofis« erschreckend oft die Wahrheit verdrehen – beispielsweise wenn es wieder einmal um Ukraine, Krise und Russland geht – aber nicht nur da. Mit jedem Fehler werden die Zuschauer misstrauischer. Bald muss sie also kommen, eine große Protestwelle, die über alle Journalisten von ARD und ZDF hinwegrollt – denen mal richtig die Köpfe wäscht. Große Protestwelle? Hallo, wo bist du? Kritik? Noch da?

»Wo der Leser zum Tier wird«, da muss man ihn nicht ernst nehmen
Kritik und Protest sind ziemlich mundtot: Wütende Kommentare von enttäuschten Zuschauern verschwinden auf den öffentlich-rechtlichen Webseiten. Sie werden zensiert. »Wo der Leser zum Tier wird«, da soll man ihn nicht ernst nehmen. Ende der Durchsage!
Kritik aus dem Internet kommt sowieso nur von wirren Verschwörungstheoretikern. Darf man also auf gar keinen Fall ernst nehmen!

So reden die Betonköpfe der Tagesschau – explizit Chefredakteur Kai Gniffke – aber auch sein zweiter Chefredakteur Christian Nitsche, der mit dem Stemmeisen lieber an einer eigenen Verschwörungstheorie schnitzt: In diesem Märchen rutscht dem armen Zuschauer vor Angst sein Herz bis zu den schlotternden Knien. Die Kritik sei das schmutzige Werk böser Panikmacher aus dem dunklen Netz, die natürlich Marionetten einer noch viel dunkleren Macht sind; gesteuert vom einsamen Diktator Putin: »Das Ziel der Kampagne ist nicht die Stärkung der Demokratie, sie soll vielmehr zu einer Abkehr von Sendern und Zeitungen führen. Im Ergebnis schwächt dies die Demokratie.«

Journalismus 2015: Mit Ochs, Esel und Betonkopf

Eine bedenkliche Sichtweise, die Herr Nitsche da an den Tag legt. Sie zeigt vor allem, dass die Öffentlich-Rechtlichen schon in den Medienkrieg um die Köpfe der Menschen gezogen sind. Nur merken sie vor lauter Arroganz nicht: Wer Kritiker mundtot macht, tötet, was er angeblich retten will – die Demokratie. Genauso beängstigend ist es, sich für eine angeblich gelungene Ukraine-Berichterstattung selbst zu feiern. Da feiert man allerdings allein.

Diese ungesunde Mixtur aus Fatalismus, unfreiwilliger Komik und Realitätsverlust erinnert an einen Treppenwitz der Geschichte, der ja leicht abgewandelt noch einmal erzählt werden kann: Den Journalismus in seinem Lauf, halten weder Ochs noch Esel auf.

Wer wird denn gleich weinen …

War denn die Kritik nur ein Sturm im Wasserglas? Haben die Kritiker Adieu gesagt? Nein, eine einzige Frau bringt den öffentlich-rechtlichen Rundfunk an den Rand der Verzweiflung: Maren Müller bombardiert ARD und ZDF mit ihrem Leipziger Verein »Ständige Publikumsvertretung«.

Über 40 gut durchdachte »formale Beschwerden« über die Ukraine-Berichterstattung zwingen insbesondere den WDR in die Knie. Jedenfalls leidet man dort unter Nervenerschütterung, seitdem die größte Landesrundfunkanstalt der ARD (und die größte Kontinentaleuropas) 20 Beschwerden im Akkord aus dem Briefkasten fischte.

Sie lesen richtig. Der Kölner Koloss mit 19 500 Mitarbeitern weint wegen einer einzelnen Frau – Maren Müller und ihrer »Ständigen Publikumsvertretung«. Ganz besonders laut schluchzt dort die Chefredakteurin des WDR, seit sich die Beschwerden auf ihrem Tisch stapeln: Sonia Seymour Mikich wurde zwar in Oxford geboren, zeigt aber so gar keinen englischen Sportsgeist.

Genervt, dünnhäutig, ja geradezu bockig

Die WDR-Chefredakteurin gibt sich genervt, dünnhäutig, ja geradezu bockig. »Sich damit zu beschäftigen, ist ein enormer Aufwand«, klagt Mikich. »Das hält uns von unserer journalistischen Arbeit ab. Es verunsichert meine Korrespondenten, und das finde ich furchtbar.« Ja, ganz furchtbar, wenn »Kunde Zuschauer« das gelieferte Produkt hinterfragt.

Immer wieder beeindruckend, was ein einzelner Mensch auf die Beine stellen kann – und damit meinen wir nicht die WDR-Chefredakteurin.

Wo andere bislang gescheitert sind, hat Maren Müller mit ihrer »Ständigen Publikumsvertretung« nämlich die Achillesferse der Öffentlich-Rechtlichen gefunden. Wütende Leserbriefe heftet man dort ja unter dem Motto »Gelesen, gelacht, gelocht« ab. Online-Kommentare werden zensiert. Kritik aus dem Netz ist – Sie wissen es bereits – das Werk verrückter Verschwörungstheoretiker, die auf Putins Lohnliste stehen – alles nur »Shitstorm«.

Formale Beschwerde: Der Mut zur Gesetzeslücke

Die Lücke sind formale Programmbeschwerden. Eine Anstalt des öffentlichen Rechts muss sich damit auseinandersetzen. Maren Müller hat die Zwänge in der Beamten-Logik erkannt: »Wenn es etwas zu beklagen gibt, beklagen wir es richtig, formal, so wie es in den Gesetzen steht.«

Müllers »Ständige Publikumsvertretung« ist eine Anlaufstelle für alle, die Fehler im Programm sehen, aber sich alleine keine Beschwerde zutrauen. Im Verein wird das Ganze rechtlich wasserdicht gemacht. Nicht einmal den eigenen Namen muss man dafür hergeben.

Zermürbte Rundfunkanstalten

Diese Art der Kritik ist neu und macht die Öffentlich-Rechtlichen hilflos, geradezu übellaunig. Jeder noch so kleine Fehler wird öffentlich dokumentiert und die Journalisten müssen dazu Stellung beziehen. Reagieren Sie nicht, macht ein Anwalt formal Druck.

Dass mit Juristen weder gut noch günstig Kirschen essen ist, hat man auch beim WDR erkannt. Deshalb landen die Beschwerden ganz oben bei Chefredakteurin Mikich, die unbedingt den Eindruck vermeiden will, »dass wir lahmgelegt werden«.

Wäre das nicht eine Perspektive? Wenn ein einzelner Verein mit formalen Beschwerden diesen Druck ausüben kann, zu was sind dann zehn, 100 oder 1000 Vereine in der Lage? Die öffentlich-rechtlichen Medien haben Millionen Zuschauer und die Mehrheit der Zwangsgebührenzahler ist mit der Arbeit der Journalisten unzufrieden.

Beschwerde abgelehnt, weil Fantasie-Panzer nicht schwer genug wiegen

Die russischen Fantasie-Panzer hat der WDR-Rundfunkrat am 11. Dezember 2014 begutachtet und erwartungsgemäß nicht gefunden. Das gab der WDR bereits vorher zu, hat es aber als »Unaufmerksamkeit« bezeichnet. Panzer sind zwar riesig, aber wenn es sie nicht gibt, wiegen sie nicht schwer genug. Programmbeschwerde abgewiesen.

Brisant: Die falschen Panzer rollten sogar noch einmal und zwar in die WDR-Sendung »Aktuelle Stunde«.

In einem Bericht der Tagesthemen vom 24. August 2014 werden russische Truppen angeblich in der Ukraine vernichtet. Die »Ständige Publikumskonferenz« beschwert sich. Eine Falschmeldung mit Bildern, die nicht aus der Ukraine sein können. Als Reaktion darauf schieben sich NDR und WDR gegenseitig die Schuld zu. Der Beitrag wurde beim NDR produziert, doch die Korrespondentin wird vom WDR bezahlt.

Wer keine Fehler macht, kennt keine Selbstkritik

Wenn Sie durch die Programmbeschwerden stöbern, werden Sie merken: Die Öffentlich-Rechtlichen reagieren immer wieder gleich. Beschwerden werden abgewiesen, weil die Fehler unbedeutend sind. Dann hakt die »Ständige Publikumskonferenz« nach. Am Ende landen die Beschwerden bei den Aufsichtsgremien der Sender, den ARD-Rundfunkräten oder dem ZDF-Fernsehrat.

Jetzt kann man fragen: Was bringen Beschwerden, die keine Aussicht auf Erfolg haben? Vor allem dokumentieren sie das Versagen der Journalisten – maximal transparent und unter juristischer Feder. Viele, auch kleine Schritte, führen langfristig zum Erfolg. Je mehr Programmbeschwerden es gibt, desto sorgfältiger wird die Arbeitsweise werden. Das wäre ein echter Fortschritt hin zu einer dringend notwendigen besseren Berichterstattung. Und auch das übergroße Ego mancher »Alpha-Journalisten« dürfte im Zuge dieses Prozesses und zum Nutzen der Zuschauer schrumpfen. Die Zeit, da deren unausgesprochenes Credo »Wir haben das letzte Wort, immer!« Gültigkeit beanspruchen konnte, ist hoffentlich vorbei.


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