Deutsche und britische Undercover-Polizisten spitzeln gemeinsam gegen antikapitalistische Bewegungen. Ihre internationale Verwendung ist ein Projekt von Ex-Innenminister Wolfgang Schäuble. Konkurrenz kommt von privaten Sicherheitsfirmen.
Nach dem Höhepunkt der globalisierungskritischen Bewegungen in Seattle, Genua und Göteborg gerieten linke Aktivisten um die Jahrtausendwende zum grenzüberschreitenden Problem für die von ihnen kritisierten Regierungen. Institutionen der Europäischen Union und der Vereinten Nationen organisierten polizeiliche Abhilfe. Unter deutscher EU-Präsidentschaft 2007 hatte sich der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) für die Verrechtlichung eines weiteren Überwachungsinstruments politischer Bewegungen eingesetzt: die grenzüberschreitende Spitzelei.
Die G8-Staaten stillen ihr Kontrollbedürfnis für Gipfeltreffen über das United Nations Interregional Crime and Justice Research Institute (UNICRI), das mit seinem im italienischen Turin ansässigen Security Governance/Counter-Terrorism Laboratory die Ineinssetzung von Gipfelprotest und Terrorismus beforscht.
Mit Coordinating National Research Programmes and Policies on Security at Major Events in Europe (EU-SEC II) betreibt auch die Europäische Union ein eigenes Vorhaben zur Handhabung von Gipfelprotesten oder Sportereignissen. EU-SEC steht wiederum unter der Leitung des UNICRI-Ablegers in Italien. Das Programm läuft dieses Jahr aus, endgültige Ergebnisse sollen im Sommer in Brüssel vorgestellt werden. Hinzu kommen weitere Institutionen der Europäischen Union bzw. ihre polizeilichen Datensammlungen, um Proteste vorauseilend beherrschbar zu machen:
Die EU-Polizeiagentur Europol versorgt Mitgliedsstaaten mit "Risikoanalysen" für "Major Events", Deutschland verleiht seine Datensammlung "International agierende gewaltbereite Störer" (IgaST). Die EU-Polizeiagentur Europol unterhält mit der "Cross-Border Surveillance Working Group" eine Arbeitsgruppe, um die Vermittlung und Honorierung von Vertrauenspersonen und Informanten, also Privatpersonen die mit Innenbehörden kooperieren, unter den EU-Mitgliedsstaaten zu vereinfachen. Polizeien der Mitgliedsstaaten, darunter das deutsche Bundes- und das Zollkriminalamt, koordinieren sich in einer "European Cooperation Group on Undercover Acitvities" (ECG).
Stasi 2.0 Während britische Undercover-Polizisten im Frühjahr 2007 bei der Ausforschung der Gipfelproteste in Heiligendamm halfen, brachte das deutsche Innenministerium unter deutscher EU-Präsidentschaft eine Entschließung des Rates auf den Weg. Mit dem im Juni 2007 verabschiedeten Papier zum weiter vereinfachten grenzüberschreitenden Einsatz Verdeckter Ermittler wollte sich Schäuble "rechtlicher und tatsächlicher Probleme" des internationalen Spitzeltauschs entledigen.
Vorgesehen waren eine Problemanalyse und EU-weite gesetzgeberische Maßnahmen, um die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten zu intensivieren. Als regelungsbedürftig galten damals wie heute:
die grenzüberschreitende Ausleihe soll in allen Mitgliedsstaaten rechtlich ermöglicht werden; Einsätze werden zwar über Artikel 14 des Rechtshilfeübereinkommens in Strafsachen (EU-RhÜbk) organisiert, ihnen muss aber eine bilaterale Vereinbarung zugrunde liegen,die Möglichkeit des polizeilichen Grenzübertritts für Eilfälle ("spontane grenzüberschreitende Einsätze), die nicht über das EU-RhÜbk geregelt sind,welcher Behörde ein Einsatz mitzuteilen ist und welchen Inhalt diese Mitteilung haben muss,das Mitführen von Waffen und "sonstiger technischer Mittel" wie Peilsender, Kameras und versteckte Aufnahmegeräte,die grenzüberschreitende Unterstützung bei Ausstellung falscher Papiere wie die "Eintragung einer Scheinfirma in ein ausländisches Handelsregister" oder die "Eröffnung eines ausländischen Bankkontos", die "für die kriminelle Vereinigung besonders glaubhaft" seien und den Anreiz erhöhten, "mit dem Verdeckten Ermittler zusammenzuarbeiten",die Frage richterlicher Anordnungen, etwa zum Betreten von Privaträumen,die "Rechtsunsicherheit auflösen" bezüglich der rechtlichen Gleichstellung des inländischen und ausländischen Spitzels; der ausländische Polizist gilt bislang als "Vertrauensperson" (V-Person) mit weniger Rechten und Pflichten,die Definition verdeckter Ermittler als ein "besonders geschulter, verdeckt oder unter falscher Identität handelnder Beamter"; Vertrauenspersonen und Informanten sollen aus dem Anwendungsbereich des künftigen EU-Rechtsakts ausgeschlossen werden.der Schutz der Identität der Spitzel bei Vernehmungen durch die Polizei oder Untersuchungsrichter, die nicht in allen Mitgliedsstaaten anonymisiert erfolgen: Bei Einleitung eines Ermittlungsverfahrens müsste der Spitzel mit der Enttarnung rechnen; ein deutscher verdeckter Ermittler darf deshalb in manchen Ländern nicht aktiv werden, was bei seiner "Tätergruppierung" Verdacht erregen könnte.
Keine Regierung darf ihre Polizeikräfte ohne vorherige Erlaubnis auf fremdem Hoheitsgebiet tätig werden lassen. Ziel ist deshalb unter anderem die Ausarbeitung einer Modell-Vereinbarung zur vorherigen Bewilligung durch den ersuchten Staat. Hier sollen die gemeinsamen Ermittlungsgruppen (GEG) Vorbild sein, in deren Rahmen auch grenzüberschreitende verdeckte Ermittlungen vorgenommen werden können. Vorteilhaft ist, dass innerhalb einer GEG richterliche Beschlüsse auf teilnehmende Polizeien anderer Länder quasi "übertragen" werden können und damit ein beträchtlicher Teil Bürokratie wegfällt.
"Memorandum of Understanding"
Mit den vorgeschlagenen Regelungen will die Bundesregierung den rechtlichen Rahmen für die ohnehin üblich gewordene grenzüberschreitende Schnüffelpraxis nachholen. In den letzten Monaten wurde bekannt, dass etliche britische Spitzel deutsche Polizeien bei Gipfelprotesten gegen G8 und NATO unterstützt hatten (Grenzüberschreitende Spitzel).
Laut geltender Rechtslage müssen derartige Einsätze vorher angemeldet und genehmigt werden. Ausländischen Undercover Polizisten wird in Deutschland beispielsweise ein deutscher Führungsbeamter zur Seite gestellt. Einzelheiten zur Berichtspflicht oder die Erinnerung, dass die Spitzel keine Straftaten begehen dürfen, werden in einem mittlerweile standardisierten "Memorandum of Understanding" (MoU) niedergelegt.
In Deutschland findet die Verwendung ausländischer Spitzel meist in Verantwortung der Bundesländer statt. Hierfür haben die Innen- und Justizminister eine Gemeinsame Richtlinie über die Inanspruchnahme von Informanten sowie über den Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Personen) und Verdeckten Ermittlern im Rahmen der Strafverfolgung geschlossen.
Die Richtlinie sieht den Einsatz ausländischer Spitzel zwar nicht explizit vor. Trotzdem dürfte sie auch für den Umgang mit der Affäre rund um den aufgeflogenen Spitzel Mark Kennedy von Belang sein: Der gegenwärtig bekannteste britische Polizist beteiligte sich an Straftaten, unterhielt sexuelle Beziehungen und hat seine polizeilich erlangten Informationen womöglich privat weiter verwertet. Die Richtlinie der Länder ermächtigt diese zur Aufhebung der Zusicherung der Geheimhaltung, wenn ein Spitzel "von einer Weisung vorwerfbar abweicht oder sich sonst als unzuverlässig erweist" oder "sich eine strafbare Tatbeteiligung" herausstellt. Beides trifft unzweifelhaft auf Kennedy zu. Trotzdem verweigern Bundes- und Landesregierungen aus "einsatztaktischen Erwägungen" umfassende Auskünfte.
Ziercke hatte sich im Innenausschuss bezüglich Kennedys Wirken in Berlin in Widersprüche verstrickt. Bislang galt, dass der Polizist in Berlin nicht aktiv gewesen sei und von dort, wie es auch Ziercke bestätigt, "nicht berichtet" habe. Obwohl Kennedy in der britischen Presse erklärt, aus der Hauptstadt sogar "Beweismittel" nach Großbritannien geschafft zu haben, behauptet der BKA-Präsident lediglich eine Anwesenheit zur "Legendenstützung". Hierfür hat das LKA jedoch zusammen mit dem BKA eine von Ziercke nicht näher bezeichnete "Aktion" lanciert, die zwar keinen "Einsatzcharakter" gehabt habe, wohl aber der der "Legendenstützung" gedient haben soll. Die "Aktion" sei "ohne Eingriffscharakter und Informationserhebung" verlaufen.
Hinzu
kommt, dass Ziercke zwar behauptet, das BKA habe keine Berichte von
Kennedys Einsatz empfangen und den Einsatz lediglich an Landesbehörden
vermittelt. Im Falle des G8-Gipfels in Heiligendamm war der britische
Polizist jedoch über einen eigens für ihn zuständigen Führungsbeamten
des BKA in die damalige Sonderbehörde der Polizei "Kavala" integriert.
Deutsche Polizisten arbeiten für britische "Gesellschaft mit beschränkter Haftung"
Ziercke
erklärte im Innenausschuss, dass auch deutsche Undercover-Polizisten
längst international aktiv sind und bei Gipfelprotesten eingesetzt
werden. Zum G8-Gipfel im schottischen Gleneagles waren fünf verdeckte
Ermittler des Landeskriminalamts (LKA) Berlin eingesetzt. Einem
entsprechenden Bericht des
Spiegel liegt das Protokoll der Innenausschuss-Sitzung von Ende Januar
zugrunde, in der Jörg Ziercke, Chef des Bundeskriminalamts (BKA), über
die Verwendung ausländischer Undercover-Polizisten in Deutschland
Auskunft gab.
An Großbritannien verliehene Polizisten seien laut Ziercke von der britischen National Public Order Intelligence Unit (NPOIU) angefordert worden – offensichtlich nicht nur für den G8-Gipfel. Die NPOIU gehört zur National Extremism Tactical Coordination Unit (NETCU), die wiederum der Association of Chief Police Officers (ACPO)
untersteht und als "Gesellschaft mit beschränkter Haftung" allgemeine
Polizeiaufgaben übernimmt. Die NETCU geriet unter Beschuss, nachdem
dubiose Ermittlungsmethoden ans Licht kamen. Mehrere Polizisten hatten
Sexualität eingesetzt, um Vertrauen zu erschleichen oder Informationen
zu erlangen. Der Innenminister hat der ACPO jetzt das Mandat der Führung
von Spitzeln entzogen.
"We hate it!"
Mit
der zunehmenden Überwachung unter Einsatz geheimdienstlicher Methoden
werden antikapitalistische, antifaschistische, antirassistische und
globalisierungskritische Aktivisten unter Kontrolle gebracht. Ihr
Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen politischen Strömungen in
Deutschland, eine reale grenzüberschreitende Vernetzung, ist deutschen
Behörden verdächtig.
Im
Innenausschuss hatte BKA-Chef Ziercke von einer "Europäisierung der
Anarchoszene" gesprochen. Aktivisten aus Griechenland, Spanien,
Großbritannien, Frankreich, Dänemark und Deutschland würden "schwerste
Straftaten" begehen. Derartige Hinweise seien für den G8 in Heiligendamm
auch aus Großbritannien eingegangen. Weder sind "schwerste Straftaten"
allerdings eingetreten, noch war seitens des BKA an anderer Stelle etwas
dazu zu hören. Die Razzien vor dem deutschen G8 wurden ähnlich
begründet, ein entsprechendes Ermittlungsverfahren nach 40
Hausdurchsuchungen und Anhäufung von 80.000 Seiten voller Erkenntnisse
später klammheimlich eingestellt.
Der
BKA-Präsident belehrt den Innenausschuss, dass Polizeien zukünftig
"international und konspirativ" agieren müssten. Ziercke erklärt den
Abgeordneten, die Polizeien der EU-Mitgliedstaaten würden ihre Spitzeln
gegen "Euro-Anarchisten, militante Linksextremisten und -terroristen" in
Stellung bringen. Das Vokabular ist aufschlussreich: Der absurde
Begriff "Euro-Anarchisten" ist beispielsweise im deutschen Sprachraum
bislang nicht gebräuchlich. Was soll er auch bedeuten?
Erstmals eingeführt wurde das Gespenst von Euro-Anarchisten als
"Kartell europäischer Anarchistengruppen" vom damaligen italienischen
Innenminister Guiseppe Pisanu 2003 zur Bezeichnung einer auch unter
linken Gruppen anrüchigen "Federazione Anarchica Informale" (F.A.I.).
Der Name ist die Abwandlung einer anderen anarchistischen Gruppe, der
"Federazione Anarchica Italiana". Die von Pisanu in den Fokus gerückte
F.A.I. übernahm in den letzten Jahren mehrmals die Verantwortung für
Briefbombenanschläge und war deshalb eine Zeitlang auf der
EU-Terrorliste geführt ("Zivile Todesstrafe").
Ähnlich
hatte sich beim 2005 zahlreich vorgetragenen Gipfelprotest in
Gleneagles, der laut Ziercke mithilfe deutscher Polizisten infiltriert
wurde, Tony Blair geäußert.
"We hate it!", beschwerte sich der Premierminister gegenüber der
Presse, da sich die Führer der größten Industriestaaten hinter einem
Zaun verstecken müssten. Obschon über hunderttausend Demonstranten rund
um das Tagungshotel die Zufahrten blockierten und am Absperrzaun
rüttelten, machte Blair "kleine Gruppen internationaler Anarchisten"
dafür verantwortlich, dass sich die G8 nicht händeschüttelnd mit der
Dorfbevölkerung fotografieren lassen können.
Womöglich
liegt also der Schlüssel zur Undercover-Zusammenarbeit gegen
"Euro-Anarchisten" in der Sicherheitszusammenarbeit für die Gipfel von
G8, G20, NATO und COP 15 in Gleneagles, Heiligendamm, London, Strasbourg
und Kopenhagen. Unwahrscheinlich ist das nicht: Der für den G8-Gipfel
in Deutschland zuständige Polizeichef Knut Abramowski war beispielsweise
anlässlich des G8-Protests in Schottland 2005 bei britischen Behörden
zu Besuch.
Wenig
wurde indes zur Rolle Frankreichs innerhalb der internationalen
verdeckten Polizei-Konspiration bekannt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit
haben auch französische Behörden Spitzel in internationalen Bewegungen
platziert. Die ehemalige Innenministerin Michèle Alliot-Marie schuf 2008
den Begriff einer "anarcho-autonomen Bewegung", die über beste Kontakte ins Ausland verfüge. Auf dem Konstrukt basierte nicht nur eine der spektakulärsten Repressionswellen (Hakenkrallen "Made in Germany"?) der letzten Jahre, es half auch bei der Reorganisation des französischen Polizeiapparates. Anlässlich des deutsch-französischen NATO-Gipfels 2009 wurde die bilaterale Polizeizusammenarbeit in den höchsten Tönen gelobt.
Das dürfte auch für internationale Spitzel-Teams gelten, die
beiderseits der Grenze Vorbereitungstreffen und
Informationsveranstaltungen infiltriert hatten.
"Greetings from America!"
Scheinbar
kooperieren nicht nur die Polizeien der EU untereinander, gespitzelt
wird auch auf Ebene der G8-Staaten. Anders ist es nicht zu erklären,
dass eine FBI-Informantin Kontakt zu Aktivisten der G8-Proteste in
Gleneagles aufnehmen wollte. "Greetings from America!", schrieb eine
"Anna", die zuvor im Zusammenhang mit der Verhaftung von drei
US-Umweltaktivisten der Organisation "Earth First!" geholfen hatte.
"Anna" pries ausdrücklich ihre angeblichen Erfahrungen bei der
Vorbereitung rund um den G8 2004 in den USA an.
Der
britische Polizist Mark Kennedy soll andersherum über eine -
ungewöhnlich lange - Arbeitserlaubnis (bis 2013) in den USA verfügen.
Aktivisten hatten ihn zufällig in New York getroffen. Auf seine
Aktivitäten angesprochen erklärte der 41jährige, er würde sich dort mit
Protagonisten der Gipfelproteste gegen den japanischen G8 2008 treffen,
die zu der Zeit auf einer Rundreise in den USA gewesen waren.
Auch
das BKA hatte japanische Behörden anlässlich des Gipfels mit
Informationen über die unter absurden Vorwürfen durchgeführten Razzien
kurz vor dem deutschen G8-Gipfel beliefert und
über womöglich zu erwartende deutsche antikapitalistische Gruppen
berichtet, darunter die "Interventionistische Linke", das Netzwerk
"Dissent!" und andere Anti G8-Bündnisse. "Nach Einschätzung der
Bundesregierung ist Japan an den deutschen Erfahrungen interessiert",
schrieb die Bundesregierung in ihrer Antwort auf
eine Kleine Anfrage. Entsprechende Informationen würden auch künftig
"auf japanische Anfrage, soweit möglich", zur Verfügung gestellt.
Ziercke
wird im Spiegel zitiert, er habe für die grenzüberschreitende Spitzelei
"stets Lob von Seiten der Politik bekommen". Gut möglich, dass die
spätestens 2005 in Schwung gekommene internationale Ausleihe verdeckter
Ermittler auch zur Ausforschung der Proteste in Japan genutzt wurde.
Womöglich arbeiten deutsche Polizisten auch mit Undercover-Kollegen aus
den USA zusammen. Die Kooperation mit Russland, ebenfalls G8-Staat,
scheint indes an Relikten des Kalten Krieges zu scheitern.
Die britischen Spitzel "Marco Jacobs" und "Lynn Watson" hatten
zwar die aus Großbritannien 2006 vorbereiteten Proteste unterwandert.
Ihre angekündigte Teilnahme an Gegenaktivitäten in St. Petersburg sagten
sie indes kurzerhand ab. Geargwöhnt wird, dass russische Behörden die
Reise mit falschen Papieren nicht genehmigten.
Private Mehrfachverwertung im Polizeisold erlangter Informationen
Die
Enttarnung britischer Spitzel lieferte bereits Hinweise auf eine
Beteiligung privater Sicherheitsfirmen an der Ausspähung politischer
Bewegungen. Der Polizist Mark Kennedy hatte etwa zwei eigene Unternehmen
gegründet und zu einem anderen, "Global Open", gute Beziehungen
unterhalten. Nach Analyse einer kürzlich online gestellten Übersicht von
Kennedys Einsatzzielen kristallisieren sich zwei Tätigkeitsfelder
heraus: Gipfelproteste gegen EU und G8 sowie Aktionen und Kampagnen
gegen Energieversorger und Rüstungsunternehmen. Betroffene Firmen waren
etwa der deutsche Kraftwerksbetreiber E.ON sowie Shell und BP.
Nach
eigenen Angaben arbeitet Kennedy seit Frühjahr 2010 nicht mehr für die
britische Polizei. Trotzdem war er weiter aktiv, darunter zu
Tierrechtsaktivismus, dem bevorstehenden G8 in Frankreich oder
anlässlich einer Antirepressionskonferenz in
Hamburg. Angesichts von Kennedys Firmengründungen drängt sich der
Verdacht auf, dass er sowohl seine im Polizeidienst erlangten Kontakte
wie Informationen auch privat verkaufte. Diese Mehrfachverwertung könnte
er auch praktiziert haben, als er im Sold der deutschen Länderpolizeien
stand.
Besonders dubios gestaltete sich Kennedys Aufenthalt in Island im
Rahmen der Proteste gegen das größte Staudammvorhaben Europas, den
Kárahnjúkar-Damm. Das Projekt dient der Energieversorgung für den
US-Stahlkonzern Alcoa, der seine Aluminiumproduktion wegen gestiegener
Löhne nach Island auslagert. Die gigantische Baustelle wird vom
italienischen Baukonzern Impregilo betrieben. Die Firma, die beste
Beziehungen mit Ministerpräsident Silvio Berlusconi pflegt und seine
Karriere finanzierte, erhielt den Zuschlag offensichtlich durch gute Beziehungen Berlusconis mit dem damaligen Ministerpräsident David Oddson.
Die
Auftraggeber für Kennedys Island-Einsatz liegen im Dunkeln. Bisher
schien es, dass die Polizei nicht von seiner Anwesenheit informiert war.
Nachdem der neue Innenminister die Polizeiführung zu einem Bericht
verdonnert hat, rudert die Behörde vorsichtig zurück.
Im
Rahmen seiner Infiltration der isländischen Klimabewegung hatte Kennedy
einen Artikel für ein Buch über die "Saving Iceland"-Kampagne verfasst,
das von den Aktivisten selbst herausgegeben wurde. Der Polizist schrieb
ausgerechnet über Polizeigewalt und Antirepression, das Pamphlet liest
sich wie sein geringfügig umgeschriebener Polizei-Rapport: "The
Icelandic police had had very little experience in dealing with protest
compared to police forces in other countries throughout Europe and
further afield. They are also thin on the ground, a fact that had
repercussions later on."
Der
Text ist mit Phrasen und Floskeln angereichert, um – in der Rückschau
betrachtet – vielleicht Druck auf seine Arbeitgeber auszuüben und damit
seine Weiterbeschäftigung zu befördern: "The environmental destruction
that is happening throughout Iceland and beyond will continue to be
protested and fought against regardless of police tactics or corporate
intimidation".
Auch
für das in den USA erscheinende umweltaktivistische "Earth First!
Journal" verfasste Kennedy unter dem Pseudonym "Lumsk" einen Artikel über Island. "Earth First!" wird von US-Behörden teilweise als terroristische Organisation kriminalisiert.
Deutscher Kraftwerksbetreiber E.ON kauft "diskrete Beobachtung"
Die europaweit in beträchtlicher Zahl anrückenden Undercover-Polizisten ärgern sich
über ihre Kollegen aus der Privatwirtschaft und beklagen, dass Firmen
inzwischen mehr Spitzel in politischen Bewegungen platziert hätten als
die Polizei.
Letzte Woche hatte die Tageszeitung Guardian berichtet,
wie die deutsche E.ON und andere britische Unternehmen Aktivisten
ausspähen ließen. Auftragnehmer war beispielsweise die Firma Vericola,
die auf ihrer Webseite mit 90 Kunden wirbt und eine "diskrete
Beobachtung" politischer Gruppen, die den "Ruf einer Firma ruinieren"
könnten, anbietet.
E.ON
hatte auch die Firma "Global Open" mit Spitzel-Diensten beauftragt, von
einer Zusammenarbeit mit dem Polizisten Mark Kennedy distanziert sich
das Unternehmen jedoch. Auf Indymedia wurde kürzlich enthüllt, dass ein "Paul Mercer" für
"Global Open" gearbeitet hatte und Umweltgruppen sowie
Tierrechtsaktivisten infiltriere. Mercer war mindestens fünf Jahre lang
aktiv. Zu seinen Auftraggebern gehörte auch der Waffenkonzern BAE.
Ausgeforscht
wurden von "Global Open" auch Protestgruppen gegen den G20-Gipfel in
London und den Ausbau des Heathrow-Flughafens. Weitere Firmen, die
ehemalige Undercover-Polizisten unter Vertrag nahmen, war die "Inkerman
Group" und "C2i International". Beide unterwanderten die Kampagne "Plane
Stupid", die sich gegen zunehmenden Flugverkehr zur Wehr setzt.
"Global
Open" -Chefin Rebecca Todd behauptet, lediglich Quellen aus "Open
Intelligence" abgeschöpft zu haben. Dies wurde dem Guardian auch von
E.ON so diktiert. Der Spiegel hatte E.ON eine Stellungnahme abgerungen,
nach der das Unternehmen den Auftrag gab, "Informationen aus öffentlich
zugänglichen Quellen, insbesondere Websites, zu sammeln, zu bewerten und
zur Verfügung zu stellen". "Vericola" habe keinen Auftrag bekommen,
Email-Services zu nutzen oder an Veranstaltungen teilzunehmen.
Tatsächlich
hat Todd jedoch elektronische Adressen eingerichtet und diese auf
politische Mailinglisten gesetzt. Die Indiskretion wurde bekannt durch
die offensichtlich unerfahrene Nutzung ihres Blackberry-Mobiltelefons,
über das sie mehrere für Mitarbeiter bestimmte Emails an die
ausgeforschten Listen weiterleitete. Laut Aktivisten waren die
Mailinglisten allerdings geschlossen; zum Subscribieren müssen
Interessierte zuvor an Treffen teilgenommen haben. Tatsächlich wurde
Todd unter anderem von 2007 bis 2008 regelmäßig bei der
Umweltschutzorganisation "Rising Tide" gesehen.
Mitarbeiter
der Firma haben indes durchaus an handfesten Protesten teilgenommen:
"You need to send an email to london@climatecamp.org.uk", instruierte
Todd einen ihrer Mitarbeiter in einer bekanntgewordenen Mail. "Say that
you want to go Sunday and that this is your first time of direct
action."
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen